02.07.2012Fachbeitrag

Rechtskommentar:
Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters - Neukunde kann auch ein bestehender Kunde sein

Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 6.10.2016, Az. VII ZR 328/12) den Begriff des Neukunden präzisiert – ein Begriff, der bei der Feststellung des in § 89 b HGB geregelten Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreter eine wesentliche Rolle spielt. Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mit einem Unternehmen ist u.a. an die Voraussetzung geknüpft, dass der Handelsvertreter neue Kunden geworben hat und der Unternehmer aus diesen Geschäftsverbindungen auch nach Vertragsende noch erhebliche Vorteile zieht.

In dem zur Entscheidung stehenden Sachverhalt hatte ein Brillenhersteller einem Handelsvertreter lediglich einen Teil seines Sortiments zum Vertrieb zugewiesen. Zugleich war dem Handelsvertreter eine Liste mit Kunden zur Verfügung gestellt worden, die bereits andere, dem Handelsvertreter nicht anvertraute Brillenkollektionen vom Unternehmen erworben hatten. Das Unternehmen stellte sich auf den Standpunkt, dass diese Kunden keine Neukunden seien und daher bei der Berechnung des Ausgleichsanspruches nicht zu berücksichtigen seien.

Der BGH hat in seinen Urteilsgründen betont, dass der Begriff des Neukunden nicht eng auszulegen ist. Die von einem Handelsvertreter geworbenen Kunden könnten auch dann als neue Kunden anzusehen sein, wenn sie bereits in einer Geschäftsbeziehung zu dem Unternehmen stünden. Dies komme jedenfalls dann in Betracht, wenn der Handelsvertreter, der lediglich mit dem Vertrieb eines Teils der Warenpalette des Unternehmens beauftragt ist, eine Geschäftsbeziehung mit dem Kunden gerade in Bezug auf die im anvertrauten Produkte durch eigene Bemühungen herstelle. Nach Auffassung des BGH komme es entscheidend darauf an, ob der Vertrieb besondere Vermittlungsbemühungen oder Verkaufsstrategien des Handelsvertreters im Hinblick auf die Begründung einer speziellen Geschäftsverbindung mit dem Kunden erfordert habe.

Fazit: Der BGH folgt damit der Argumentation des EuGH (Urteil vom 7. April 2016, Az. C-315/14), dem der obigen Sachverhalt bereits im Wege eines Vorlageersuchens zur Entscheidung vorgelegt worden war (wegen entsprechender Auslegung der dem § 89 b HGB zu Grunde liegenden europäischen Handelsvertreterrichtlinie). Im Ergebnis wird die Position des Handelsvertreters durch die obige Rechtsprechung merklich gestärkt. Unternehmen sollten sich bei der Gestaltung ihres Vertriebssystems dessen bewusst sein, zumal der Ausgleichsanspruch die Höhe der durchschnittlichen Jahresprovision der letzten fünf Vertragsjahre erreichen und für das Unternehmen eine nicht unerheblichen finanziellen Belastung darstellen kann.

Autorin

Ruth Witten-Violetti
Rechtsanwältin

Derra, Meyer & Partner Rechtsanwälte

www.derra.eu

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