28.05.2009Fachbeitrag

Rechtskommentar:
Das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz

Die Bundesregierung hat, wie angekündigt und von vielen befürchtet, den Entwurf eines Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes (Gesetz zur Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken und der Steuerhinterziehung) verabschiedet, das nach dem Willen der großen Koalition noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll, um dann bereits am Tage nach der Verkündung in Kraft zu treten.

In einer eilig terminierten öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses am 25.05.2009 ist der Entwurf dieses Gesetzes (BT-Drs. 16/12852) von Wirtschafts- und Bankenverbänden äußerst kritisch bewertet worden, wie der Bundestag mitteilte.

Auch nach einigen kleineren Modifikationen gegenüber den beiden Vorfassungen bleibt der ungute Eindruck: Das deutsche Steuerrecht wird nicht vereinfacht, und Bürokratie wird nicht abgebaut. Stattdessen geht die Bundesregierung den umgekehrten Weg: der Steuerbürger wird generalverdächtigt und an die Kandare fiskalischer Sanktionen gelegt.

Die Fiskalisten haben die dramatischen Auswirkungen der Weltfinanzkrise und die unrühmliche Rolle, die dabei zahlreiche Finanzinstitute mit intransparenten Produkten gespielt haben, zum Anlass eines Rundumschlages genommen, der am Ende alle Bürger mit Vermögensanlagen sowie international tätige Klein- und Mittelbetriebe treffen wird – die Finanzjongleure möglicherweise wieder einmal gar nicht. Diese hatten für ihre Finanzakrobatie in der Tat die steuer- und insbesondere bankenaufsichtsrechtlich sehr lockeren Rahmenbedingungen bestimmter Standorte ausgenutzt. Diese gelten seitdem alle als Oasen, und damit die Schweiz, Luxemburg, die Antillen und – wenn auch irrtümlich – Burkina Faso.

Verkomplizierung und Verschärfung des Steuerrechts

Es ist eine bedenkliche Entwicklung im deutschen Steuerrecht festzustellen. Die Steuergesetze stellen Regeln auf, die von jedermann einzuhalten sind. Je komplexer und komplizierter sie sind, desto schwieriger und umstrittener gerät das. Steuerhinterziehung ist dabei ohne Zweifel ein Delikt. Es muss wie jedes andere verfolgt und geahndet werden. Nicht mehr und nicht weniger.

Die zuständigen Behörden haben dazu die nötigen rechtlichen Mittel zur Hand. Die Erfahrung hat gezeigt, dass gerade die Kombination von steuerlichen Nachweis- und Mitwirkungspflichten einerseits und strafprozessualen Zwangsbefugnissen andererseits häufig zu einer Effektivität des Vorgehens der Strafverfolgungsbehörden führt, die in „normalen“ Strafverfahren – leider – nicht erzielt wird.

Deshalb müssen die populistischen Verschärfungen des Gesetzes in diesem Bereich aus verfassungs- und steuerrechtlicher Sicht in Frage gestellt werden. Eine weitere Verschärfung des Steuerrechts ist alles andere als sinnvoll.

Denn mehrere dieser Gesetze sind in den letzten Jahren bereits verschärft worden, wobei die Verfassungsmäßigkeit wiederholt fragwürdig erschien. Die Effektivität hat dabei auch nicht wirklich zugenommen, wenn man etwa an die Neuregelung der „schweren Steuerhinterziehung“ denkt, die gesetzgeberisch mehrfach korrigieren werden musste. Erst kürzlich wurde die Verjährungsfrist für Steuerhinterziehung auf 10 Jahre verlängert, von der Fachleute bezweifeln, ob sie rechtlich einwandfrei ist und ob sie überhaupt den Effektivitätsgewinn erbringen wird, den man sich davon offiziell versprochen hatte.

Bedenklich überzogene Mitwirkungspflichten

Nach einem neu gefassten § 90 Abs. 3 S. 3 und 4 AO sollen Steuerpflichtige demnächst einen amtlichen Vordruck erhalten mit Fragen über Art und Inhalt der Geschäftsbeziehungen, wenn bei ihnen Anhaltspunkte für Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten in Staaten oder Gebieten vorliegen, mit denen kein umfassender Auskunftsaustausch entsprechend Art. 26 des Musterabkommens der OECD durchgeführt werden kann. Die Angaben sind eidesstattlich zu versichern, und die beteiligten Kreditinstitute von der Verschwiegenheitspflicht zu befreien. Weigern sie sich, können Ordnungsgelder festgesetzt werden und nach einem neuen § 162 Abs. 2 S. 3 AO Schätzungen erfolgen, weil vermutet wird, dass sie über Kapitaleinkünfte im Ausland verfügen.

Bei Alledem ist kein begründeter Verdacht erforderlich. Es genügt schon, wenn aufgrund von Anhaltspunkten oder allgemeinen Erfahrungen eine weitere Aufklärung des steuerlichen Sachverhalts angezeigt ist.

Die Regelung zum Ordnungsgeld ist als verfassungswidrig einzustufen. Denn die vermuteten ausländischen Kapitaleinkünfte führen zwangsläufig schon zum Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung. Durch ein Ordnungsgeld würde der betroffene Steuerpflichtige gleichzeitig gezwungen, sich selbst zu belasten. Das kann nach den Grundsätzen verfassungskonformen bzw. rechtsstaatlichen Strafverfahrensrechts nicht zulässig sein. Die Regelung dürfte auch leer laufen, da nach der Rechtsprechung zum verfassungskonformen Strafverfahrensrecht jeder Betroffene schon nach seinen garantierten Grundrechten die von ihm unter Zwangsandrohung verlangten Angaben unter Hinweis auf eine mögliche Selbstbelastung verweigern kann. Das verdeutlicht auch § 393 Abs. 1 Satz 2 AO mit dem dort enthaltenen Grundsatz des „nemo-tenetur“.

Stark erweiterte Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten

Ein neuer § 147 a AO soll steuerpflichtige Privatanleger, die bislang nicht zu umfassenden und detaillierten Aufbewahrungspflichten nach Art von Geschäftsbüchern verpflichtet waren, mit inhaltlich entsprechenden Auflagen belegen, wenn sie Einkünfte in Höhe von mehr als 500.000 Euro / Kalenderjahr haben.

Solche Art Mitwirkungs- und Steuerverwaltungspflichten sind völlig unverhältnismäßig und deshalb auch verfassungswidrig. Unwahre Angaben gegenüber der Finanzverwaltung sind bereits jetzt strafbewehrt. Eine zusätzliche Sanktion ist nicht erforderlich. Konsequente Steuerhinterzieher werden sich dadurch ohnehin nicht abschrecken lassen. Das Entdeckungsrisiko steigt dadurch für den Täter ebenso wenig wie die Strafdrohung: Die – vom Staat unnötig provozierte – weitere Straftat fällt neben der Steuerhinterziehung nicht ins Gewicht. Die Regelung ist insgesamt ungeeignet, um irgendwelche Aufklärungserfolge zu erzielen.

Im Übrigen läuft ein solcher Steuerbürokratismus auch dem Ziel zuwider, Steuerveranlagungen zeitnah abzuschließen und zu erledigen, ein Ziel, das von vielen Steuerpolitikern immer wieder öffentlichkeitswirksam – im Kern auch durchaus zu Recht – betont wird.

Versagung steuerlicher Rechtspositionen

Der Geschäftsverkehr mit unkooperativen Ländern sowie die dortige Geldanlage sollen erschwert und auf diese Weise „Steueroasen ausgetrocknet" werden.

Dazu soll der Abzug von Betriebsausgaben und Werbungskosten eingeschränkt oder ganz versagt oder von der Erfüllung erhöhter Nachweispflichten abhängig gemacht werden, wenn entsprechende Zahlungen an Personen oder Vereinigungen mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem anderen Staat geleistet werden, mit dem kein umfassender Auskunftsaustausch nach den Standards der OECD möglich ist. Es geht hierbei um Länder, die sich nicht an die in Artikel 26 des OECD Musterabkommens festgelegten Kriterien für steuerliche Transparenz und Zusammenarbeit der Finanzbehörden halten. Dabei enthält der Gesetzentwurf eine Reihe von neuen Kontrollen, Beschränkungen, Nachweispflichten und Sanktionen.

Nach einem neuen § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG und einem neuen § 33 Abs. 1 KStG kann die Finanzbehörde ausländischen Gesellschaften die Entlastung von Kapitalertragsteuer oder Abzugsteuer gem. § 50d Abs. 1 und 2 EStG ganz oder teilweise versagen, wenn an der ausländischen Gesellschaft Personen oder Personenvereinigungen beteiligt sind, deren Sitz oder Geschäftsleitung sich in einem Staat ohne Auskunftsaustausch befindet. Die Anwendung der Regelungen zur Abgeltungsteuer und das Teileinkünfteverfahren werden ganz oder teilweise ausgeschlossen, sofern die Einnahmen von Gesellschaften aus solchen Staaten bezogen werden. Sofern Dividenden unmittelbar oder mittelbar aus solchen Staaten zufließen, werden sie von der Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 und 2 KStG bzw. dem maßgeblichen Doppelbesteuerungsabkommen ganz oder teilweise ausgeschlossen. Dadurch soll einerseits den eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden Rechnung getragen und andererseits der Anreiz für den jeweiligen Staat erhöht werden, mit Deutschland effektiven Auskunftsaustausch zu vereinbaren.

Hiergegen bestehen schwerwiegende Bedenken:

Das beginnt schon mit dem tatbestandlichen Ziel der Bekämpfung „schädlicher Steuerpraktiken“. Hier stellt sich nicht nur die Frage, was denn solche Praktiken sein sollen, zumal die Voraussetzungen für einen Besteuerungstatbestand nach deutschem Verfassungsrecht dem besonderen Klarheits- und Vorhersehbarkeitsgebot unterliegt und damit Blankettvorschriften ausschließt. Vor allem aber kann es im rechtsstaatlichen Steuerecht nur rechtmäßige oder unrechtmäßige Steuerpraktiken geben. Rechtmäßige Gestaltungen, auch wenn sie das deutsche Steueraufkommen beschränken und damit aus fiskalischer Sicht wohl „schädigen“, dürfen gleichwohl nicht sanktioniert werden. Es ist verfassungsrechtlich mehr als bedenklich, schon aufgrund vager Annahmen von Finanzbeamten so weit reichende und belastende Änderungsmöglichkeiten wie die vollständige Versagung des Werbungskostenabzugs oder die Nichtanwendung des Teil-einkünfteverfahrens zu ermöglichen. Solche Eingriffe müssen im Steuerrecht allein dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben und in konkreten Gesetzestatbeständen enthalten sein. Noch viel gravierender aber ist, dass auf solche Normen zugleich ein strafrechtlicher Vorwurf im Rahmen des § 370 AO (Steuerhinterziehung) aufgebaut werden kann. Spätestens an dieser Stelle ist nachdrücklich auf den Gesetzesvorbehalt aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zu verweisen.

Umsetzung durch Rechtsverordnung

Die Funktionsverlagerungsregelung hatte bereits gezeigt: Es wird offenbar jetzt zunehmende Praxis des Steuergesetzgebers, die Ausgestaltung des Steuerrechts im Wege der Rechtsverordnung nach Art 80 Grundgesetz dem Finanzminister zu überlassen. Der Grundgesetzgeber hatte aber dieses Instrumentarium als Ausnahmefall für besondere Anlässe gedacht. Schon gar nicht hatte er zulassen wollen, was im Fall des Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes geplant ist: Der deutsche Fiskus will sich die Möglichkeit zur konkreten Ausgestaltung künftiger besonderer Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten als Drohung gegen auskunftsunwillige „Oasen-Staaten“ vorbehalten. Er nimmt also zur Gefügigmachung anderer Staaten die eigenen Bürger in „Geiselhaft“ – ein bislang einzigartiges Beispiel gesetzgeberischer Irrwege.

Verstoß gegen Grundfreiheiten des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft

Der Gesetzentwurf differenziert nicht zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten. Zudem schränkt er die Kapitalverkehrsfreiheit innerhalb der Gemeinschaft in einer unverhältnismäßigen Weise ein, die wohl kaum zur Wahrung des übergeordneten und überwiegenden Allgemeininteresses der gesamten Gemeinschaft notwendig ist.

Fazit:

Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf des Steuerhinterziehungs-bekämpfungsgesetzes führt – wenn er denn in dieser Form Gesetz werden sollte – zu einer weiteren Verkomplizierung und Verschärfung der in Deutschland geltenden Steuervorschriften.

Da er bestimmte Steuerpflichtige von vornherein unter einen Generalverdacht stellt und diese zudem faktisch zwingt, auch zum eigenen Nachteil bestimmte Umstände offenzulegen, begegnet dieser Gesetzentwurf nicht nur auf der Tatbestands-, sondern insbesondere auch auf der Rechtsfolgenseite erheblichen rechtsstaatlichen Bedenken.

Wem aber nützt ein derart bedenkliches Gesetzesvorhaben, wenn es am Ende von der Rechtsprechung an geltendem Verfassungsrecht gemessen und verworfen werden muss?

Zu den Autoren:

Mehr zu diesen Themen