23.10.2019Fachbeitrag

Schenkungen an den Ehegatten: Sonderregelung beim Pflichtteil

Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen an den Ehegatten Verfassungsmäßigkeit der Ausnahme von der Zehn-Jahres-Regelung

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. November 2018 zum Az. 1 BvR 1511/14

Ausgangslage

Ein bestimmter Personenkreis (Ehegatte, Kinder und unter Umständen auch Eltern, soweit sie noch leben) ist pflichtteilsberechtigt am Nachlass eines Erblassers. Ein Pflichtteil ist eine Mindestbeteiligung der nächsten Hinterbliebenen am Nachlass. Den Pflichtteilsberechtigten ist eine bestimmte Quote an dem im Erbfall vorhandenen Nachlass sicher, der ihnen durch eine Enterbung oder Minderbegünstigung in einem Testament/Erbvertrag grundsätzlich nicht genommen werden kann.

Hinzu kommen sogenannte Pflichtteilsergänzungsansprüche. Sie erstrecken die Mindestbeteiligung der Pflichtteilsberechtigten über den im Erbfall vorhandenen Nachlass hinaus auf Schenkungen aus der Zeit vor dem Erbfall. Grundsätzlich werden nur Schenkungen berücksichtigt, die maximal zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers vollzogen wurden. Ältere Schenkungen begründen keine Pflichtteilsergänzungsansprüche. Schenkungen, die jünger als zehn Jahre sind, werden grundsätzlich nur „abgeschmolzen“ berücksichtigt. Eine Schenkung, die bei dem Tod des Erblassers ein Jahr zurückliegt, begründet einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 90 Prozent des Werts der Schenkung. Eine Schenkung, die beim Tod des Erblassers zwei Jahre zurückliegt, wird mit 80 Prozent berücksichtigt u.s.w.

Etwas anderes gilt bei Schenkungen an den Ehegatten: Hier beginnen die Zehn-Jahres-Frist und die Abschmelzung nicht mit dem Zeitpunkt der Schenkung, sondern erst mit der Beendigung der Ehe zu laufen. Sind die Ehegatten bis zum Tod des Erblassers miteinander verheiratet, begründet somit jede Schenkung des Erblassers vor seinem Tod an den überlebenden Ehegatten in voller Höhe einen Pflichtteilsergänzungsanspruch, auch wenn sie schon mehr als zehn Jahre zurückliegt. Das Bundesverfassungsgericht hatte vor kurzem darüber zu entscheiden, ob diese Regelung, die in § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB niedergelegt ist, verfassungswidrig ist.

Der beim Bundesverfassungsgericht eingelegten Verfassungsbeschwerde lag folgender Fall zugrunde:

Ein Erblasser hatte seine zweite Ehefrau (mit der er bis zu seinem Tod verheiratet war) und seinen Sohn aus zweiter Ehe als Erben eingesetzt. Nach dem Tod des Erblassers machte der Sohn aus erster Ehe gegenüber den Erben seinen Pflichtteil geltend. Es stellte sich die Frage, ob eine mehr als zehn Jahre vor dem Tod des Erblassers erfolgte Schenkung an seine zweite Ehefrau einen Pflichtteilsergänzungsanspruch begründet.

Grundsätzlich gilt: Wenn das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsnorm im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde für verfassungswidrig erklärt, darf sie nicht mehr angewendet werden. Die Situation ist dann von den Gerichten so zu beurteilen, als ob es die Norm – hier die Ausnahme, dass die Frist erst im Zeitpunkt der Beendigung der Ehe zu laufen beginnt – nicht existiert. Im konkreten Fall wäre dann die Zehn-Jahres-Regel anwendbar und die Schenkung an die zweite Ehefrau bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs in voller Höhe nicht zu berücksichtigen gewesen.

Die zweite Ehefrau trug vor, dass die unterschiedliche Behandlung von Schenkungen an Ehepartner und Schenkungen an Dritte nicht gerechtfertigt sei. Die Ungleichbehandlung verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes, der einen besonderen Schutz von Ehe und Familie anordnet und aus dem gerade diverse Privilegierungen für Ehegatten abgeleitet werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat darüber wie folgt entschieden:

Soweit § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB eine Ungleichbehandlung von Ehegatten und anderen Beschenkten zur Folge hat, sei diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt. Denn der Gesetzgeber dürfe im Rahmen seines ihm zustehenden Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums beim Erlass von Gesetzen davon ausgehen, dass typischerweise bei einer Schenkung an nichteheliche Lebensgefährten und Kinder keine gleichermaßen dauerhafte Erwartung der eigenen mittelbaren Weiternutzung bestehe wie bei Ehegatten. Bei einer Schenkung an einen Ehegatten partizipiere der schenkende Ehegatte in der Regel weiterhin an den Nutzungen des schenkungsweise übertragenen Vermögens. Das käme schon dadurch zum Ausdruck, dass Ehegatten einander während der Ehe Unterhalt schulden und diese Unterhaltsverpflichtung primär vor anderen Unterhaltsverpflichtungen (wie z.B. Kindesunterhalt) zu erfüllen sei.

Ferner sei eine Ungleichbehandlung deswegen gerechtfertigt, weil jedenfalls im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft eine „wirtschaftliche Verflechtung“ des Vermögens der Ehegatten bestehe. Da das im Wege der Schenkung übertragene Vermögen dem Zugewinnausgleich unterfalle, sei die übertragene Vermögensposition dem Vermögen des schenkenden Ehegatten wirtschaftlich nicht vollständig und endgültig entzogen.

Vor diesem Hintergrund zog das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB nicht in Betracht.

Fazit

Grundsätzlich sind nur Schenkungen eines Erblassers aus den letzten zehn Jahren vor seinem Tod relevant für Pflichtteilsergänzungsansprüche. Etwas anderes gilt bei Schenkungen an den Ehegatten: Für sie beginnen die Zehn-Jahres-Frist und die Abschmelzung erst mit der Beendigung der Ehe zu laufen. Sind die Ehegatten bis zum Tod des Erblassers miteinander verheiratet, begründet somit jede Schenkung des Erblassers vor seinem Tod an den überlebenden Ehegatten in voller Höhe einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Diese Ungleichbehandlung gegenüber Schenkungen an andere Personen ist nicht verfassungswidrig.

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