BID: „Mittelfristig eine Katastrophe“: Verlängerung des Brexit-Dramas schürt in Deutschland Wut und neue Ängste
Gäbe es einen Regisseur hinter dem Brexit-Drama, dann stünde spätestens jetzt fest: Der gute Mann hat entweder keine Ahnung von Wirtschaft oder er hat sich gegen sie verschworen. Unternehmen mögen Stabilität und Kontinuität. Erst dann können sie langfristig planen und investieren. Doch wenn das Brexit-Drama etwas nicht lieferte, dann waren das Stabilität und Kontinuität. Stattdessen regieren Unsicherheit und Chaos.
Zwei Jahre lang mussten Unternehmen annehmen, dass zumindest eines feststehen würde: das Datum des EU-Ausstiegs Großbritanniens, der 29. März 2019. Von wegen! Am Donnerstag, 15 Tage vor Ablauf der Frist, entschied das Britische Parlament, den Brexit doch noch einmal hinausschieben zu wollen. Dem muss die EU noch zustimmen.
Mittelstands-Bund: „Durch Brexit-Verschiebung droht Fass ohne Boden“
Wirklich Lust darauf hat in Brüssel aber kaum jemand. Schließlich würde die EU sich gern mal mit etwas Anderem beschäftigen als mit einem störrischen Clubmitglied, das gar kein Clubmitglied mehr sein will. Dementsprechend schlecht ist man in Brüssel auf London zu sprechen. Und was sagt die Wirtschaft? Nachfrage beim Deutschen Mittelstands-Bund, Vertreter kleiner und mittlerer Unternehmen in Deutschland, die das Rückgrat der Wirtschaft hierzulande bilden.
Marc Tenbieg, Vorstandsvorsitzender des Bunds, wird deutlich. „Kurzfristig bedeutet eine Austrittsverschiebung für Unternehmer [...] einen Blindflug mit einem weiter so wie bisher“, schreibt er per Email. „Aber mittelfristig ist die wirtschaftliche Planungs- und Investititionssicherheit natürlich eine Katastrophe.“ Tenbieg klingt frustriert. „Viele Unternehmen mussten erheblich in die imaginären Brexit-Vorbereitungen investieren“, führt er aus. „Durch eine Verschiebung des Brexits droht ein Fass ohne Boden — was den zeitlichen, aber eben auch monetären Aufwand angeht.“ Der Unternehmer warnt: „Das ständige Hinterfragen, ob man nun wirklich jeden Brexit-Aspekt für das eigene Unternehmen bedacht hat, darf nicht zu einer Dauerbeschäftigung werden. Das raubt einem betroffenen Unternehmen den letzten Nerv.“
Großbritannien ist ein wichtiger deutscher Handelspartner
Es ist ja nicht so, als sei das Vereinigte Königreich für Deutschlands Unternehmen irrelevant. Im Gegenteil. Großbritannien ist fünftgrößter Handelspartner der Bundesrepublik — hinter China, den USA, den Niederlanden und Frankreich. Allein 2017 exportierte Deutschland Waren im Wert von knapp 85 Milliarden Euro ins Königreich. Dementsprechend viel steht für deutsche Unternehmen auf dem Spiel.
Viel auf dem Spiel steht auch für Spediteure. Sie würde eine neue harte Grenze zwischen Großbritannien und der EU unmittelbar treffen. Sie würden unmittelbar mit möglichen neuen Nachweisen, Kontrollen und Zöllen konfrontiert. Für sie wäre ein Brexit ohne Deal das schlimmste Szenario. Und jetzt? „Wir sehen die Verlängerung mit gemischten Gefühlen“, antwortet Niels Beuck, Geschäftsführer des Bundesverband Spedition und Logistik, per Email. Der befürchtete Brexit ohne Deal sei zumindest aufgeschoben. Es bleibe die Möglichkeit, eine gemeinsame Lösung zu finden. „Andererseits können sich die Unternehmen [...] immer noch nicht auf ein sicheres Szenario vorbereiten.“
Klar. Unvorbereitet wollen Deutschlands Spediteure nicht sein, wenn der Vorhang fällt und das Brexit-Drama ein Ende findet. Selbst wenn dann kein Deal steht und Großbritannien im Krach aussteigt. Auch Beuck versichert: „Gerade die großen Konzerne signalisieren uns: Wir sind vorbereitet.“ Soweit man sich eben bei so vielen Unsicherheiten vorbereiten kann. Denn einige Themen lägen außerhalb des Einflussbereichs der Unternehmen, schreibt Beuck: die Frage etwa, wo man denn bestimmte Genehmigungen bekomme, um Waren ins Vereinigte Königreich auszuliefern.
Vielleicht hat ja der Brexit-Regisseur, wenn es ihn denn gibt, Mitleid mit den Firmen. Vielleicht gelingt den Beteiligten ja doch noch eine wirtschaftsfreundliche Einigung. Darauf setzen dürften viele Unternehmer aber nach all dem, was bislang geschah, wohl nicht mehr.
Quellen- und Autorenangaben
Autoren
Christoph Damm
Andreas Baumer
Quelle
Business Insider Deutschland
Veröffentlichungsdatum: 13.03.2019
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