Der Wirtschaftsstandort Israel
Blick auf Tel Aviv: Israel hat sich in wenigen Jahrzehnten von einer Agrar- zur fortschrittlichen High-Tech Nation entwickelt.
Es ist noch nicht allzu lange her, da war Israel als Heimat nur weniger Exportschlager bekannt: dazu zählten vor allem die Jaffa-Orange und geschliffene Diamanten. Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich Israel – jenseits aller Tagespolitik, politischer Großwetterlage und regionaler Verwerfungen – fast unbemerkt zu einem Wirtschaftswunderland entwickelt. Dieser erfolgreiche Wandel von einer Agrar- zur fortschrittlichen High-Tech Nation wurde 2010 durch die Aufnahme in die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) anerkannt. Der einst von ausländischer Unterstützung maßgeblich abhängige Staat ist zu einer Anlaufstelle geworden, in der Vertreter ausländischer Unternehmen und Regierungen sich inzwischen die Klinke in die Hand geben.
Globale Forschungsmacht
Aufgrund der prekären geografischen Lage und einer rasanten demografischen Entwicklung, der Wasserverknappung und vollkommenen Abhängigkeit vom Import fossiler Brennstoffe war Israel von Anfang an dazu gezwungen, auf die Entwicklung innovativer Technologien zu setzen. Heute kann es sich nicht nur mit dem weltweit höchsten Anteil am BIP (4,9 Prozent von 330 Mrd. Euro) für Ausgaben für zivile Forschung und Entwicklung (F&E) brüsten, sondern auch mit dem größten Risikokapitalaufkommen pro Kopf sowie mit namhaften Forschungseinrichtungen und Technologietransferorganisationen. So avancierte Israel zu einem F&E- und Produktionsstandort von globaler Bedeutung.
Das Land beherbergt heute die weltweit größte und zugleich kostengünstigste Meerwasserentsalzungsanlage und ist mit fast 90 Prozent Rückgewinnung von Abwässern Recyclingweltmeister. In den Bereichen Solarthermie und Tropfbewässerung sind israelische Unternehmen Weltmarktführer. Mehr als 8.000 aktive Start-ups - bei einer Bevölkerung von nur 9,2 Millionen – haben dem Land zu Recht den Titel „Start-up Nation“ eingebracht. So sind Apple, Google, Intel, IBM oder Merck unter den fast 400 multinationalen Konzernen vertreten, die sich bereits im „Silicon-Wadi“ angesiedelt haben. Sie alle wollen als erste von der Entwicklung neuer disruptiver Technologien vor Ort profitieren.
Wichtiger Partner deutscher Unternehmen
Immer mehr Staaten drängen aus demselben Beweggrund nach Israel. So unterhält das Land inzwischen über 30 Freihandelsabkommen, darunter auch mit der EU oder NAFTA, und ist ein gleichwertiger Wirtschaftspartner der Bundesrepublik Deutschland, die von Anbeginn Pate dieser erstaunlichen Entwicklung war. Bis heute hat sie diese Rolle als drittgrößter Wirtschaftspartner hinter den USA und China behalten. Über 7.000 deutsche und israelische Unternehmen pflegen Geschäftsbeziehungen miteinander und sorgten 2019 für ein bilaterales Handels- und Dienstleistungsvolumen von circa 8,5 Mrd. Euro, von denen 70 Prozent deutsche und 30 Prozent israelische Exporte ausmachten. Beim Güterexport liegt Deutschland traditionell vorne, bei den Geschäftsdienstleistungen - vor allem Softwareentwicklungen und F&E-Leistungen - hat Israel deutlich die Nase vorn.
In Israel sind deutsche Produkte allgemein sehr beliebt. Am Bau konventioneller Kraftwerke, Projekten der Infrastruktur und Energieeffizienz sind deutsche Unternehmen aller Größen beteiligt. Maschinen, Produkte der chemischen Industrie sowie der Medizin- und Umwelttechnik finden großen Absatz in Israel. 6,3 Prozent sämtlicher Einfuhren stammten 2019 aus Deutschland.
Mehr als Absatzmarkt
Doch Israel ist nicht allein als Absatzmarkt für deutsche Erzeugnisse oder wegen seiner reichen Geschichte interessant. Genau wie andere internationale Konzerne haben auch deutsche Firmen den Forschungsstandort Israel für sich entdeckt: SAP Labs Israel beschäftigt rund 800 Mitarbeiter mit einem überproportionalen Beitrag zum Gesamtumsatz. Die Deutsche Telekom unterhält die DT Laboratories an der Ben-Gurion-Universität und lässt über 100 Angestellte an den IT-Lösungen der Zukunft arbeiten. Hochkarätige deutsche Unternehmen tätigen Venture Capital-Investitionen, beschäftigen Innovationsscouts und werden vor allem in KI- und Technologiebereichen fündig.
Auch andere Investitionen lassen aufhorchen. Der israelische Generika-Riese TEVA hat vor wenigen Jahren die deutsche Ratiopharm erworben. Für das israelische Rubriken-portal Yad2 (Online-Marktplatz) zahlte Axel Springer 165 Millionen Euro und unter der Führung der Federmann-Gruppe avancierte die sächsische Freiberger Compound Materials zu einem der weltweit bedeutendsten Hersteller für Galliumarsenid (Halbleiterwerkstoff).
Bei den letzten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen im November 2018 wurde u.a. beschlossen, die Wirtschaftsbeziehungen weiter zu vertiefen, so durch die Förderung gemeinsamer Projekte in der angewandten Forschung, die Kooperation speziell im erneuerbaren Energiebereich, sowie die Vernetzung der beiden Gründerszenen. Denn längst haben deutsche Unternehmen erkannt, dass sie nicht nur von israelischem Know-How, sondern auch von Israels Risikofreudigkeit, Innovationsfähigkeit und Gründermentalität profitieren können. Zudem bietet sich ihnen hier die Gelegenheit, aus erster Hand mehr von Israels flachen Hierarchien, Improvisationsvermögen und Lösungsorientiertheit zu lernen. Das Potenzial für gemeinsame Erfolge ist noch lange nicht erschöpft. Dieses Potenzial dürfte in absehbarer Zukunft sogar noch wachsen. Einst galt Israel als isoliertes Land; wurde durch den arabischen Boykott zur wirtschaftlichen Insel. Doch gleich mehrere Entwicklungen haben Israels Rolle in der Region und im globalen Kontext von Grund auf verändert.
Von der Sackgasse zum Drehkreuz
Bedeutende Erdgasfunde vor der Küste werden die israelische Wirtschaft nachhaltig verändern. Schon jetzt haben sie die Importabhängigkeit drastisch reduziert. Israel strebt sogar an, in Kooperation mit Zypern und Griechenland zu einem Energielieferanten Europas zu werden. Andere Exportvorhaben verbinden Israel mit Ägypten und Jordanien.
Die neuen Friedensverträge mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain, auf die weitere Abkommen folgen könnten, beenden Israels Status als wirtschaftliche und politische Insel. Stattdessen arbeitet die Regierung nun darauf hin, das Land in einen Hub zu verwandeln. Das Transportministerium legte bereits Pläne vor, die vorsehen, die Hafenstadt Haifa per Zug direkt mit Jordanien, Saudi-Arabien und weiteren Golfanrainern zu verbinden. Israels Lage – mitten zwischen Europa, dem Persischen Golf und Asien – gekoppelt mit seiner fortschrittlichen Wirtschaft, guten Infrastruktur und politischer Stabilität, könnte diese Träume eines Tages zu einer wirtschaftlichen Realität werden lassen, an der auch deutsche Firmen teilhaben könnten.
Zur Beitragsserie: Israel - Chancen für den Mittelstand