Europa stimmt gegen den Wandel
Kommentar zum Wahlergebnis und den Folgen für den Mittelstand.
Europa stand vor einer Schicksalswahl, weil befürchtet werden musste, dass die Parteien der Mitte ihre Mehrheit verlieren. Dazu kam es glücklicherweise nicht. Doch auch wenn das Horrorszenario ausgeblieben ist, kann der Mittelstand mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden sein, schreibt Patrick Schönowski, DMB-Referent für Internationalisierung, in seinem Kommentar.
In mehrfacher Hinsicht ist das Ergebnis der Europawahl 2024 bemerkenswert. Das fängt schon bei der historisch hohen Wahlbeteiligung der Deutschen an. 65 % - so viel gab es seit der Deutschen Einheit noch nie. Damit lag die Bundesrepublik deutlich über der EU-weiten Wahlbeteiligung von 51 %. Was hat die Deutschen zur Stimmabgabe motiviert? Ein Grund ist die aktuelle Relevanz von supranationalen Themen. Hier ist vor allem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zu nennen. Angesichts dessen rücken Zukunftsthemen verständlicherweise in den Hintergrund. Es verwundert nicht, dass sich die Wählerinnen und Wähler gegen einen zukunftsorientierten Wandel, sondern für Kontinuität entschieden haben.
Die EU-Politik wird sich durch die Europawahlen nicht grundlegend wandeln, da relevante Elemente gleichbleiben: die Parlamentsmehrheit der pro-europäischen Parteien, die Zusammensetzung des EU-Rates sowie voraussichtlich eine Fortsetzung der Amtszeit der bisherigen Kommissionspräsidentin. Der Rechtsruck ist zwar unverkennbar, doch die Bedrohung einer rechtsextremen Mehrheit und damit einer instabilen Wirtschaftspolitik ist – vorerst – verhindert worden.
Das bedeutet vor allem eines: Die EU kann theoretisch weiterhin als wirtschaftspolitische Chance für den Mittelstand beansprucht werden. Doch dafür müssen die europäischen Akteure die internationale Wettbewerbsfähigkeit der mittelständischen Wirtschaft sicherstellen und sich nachdrücklich auf die digitale und ökologische Transformation der Unternehmen fokussieren. Ob das gelingt, ist fraglich.
Schließlich sind bei aller Kontiunität auch spürbare Änderungen zu erwarten: Weniger grüne und liberale Politik, dafür mehr sozialdemokratische und insbesondere konservative Programmatik. Mehr mediale Aufmerksamkeit für rechtspopulistischen Reden im Europaparlament und extrem-rechte Positionen. Verstärkte Machtpositionen von nationalen Regierungen in der Europapolitik und eine etwas steigende Bedeutung der nationalen Politik.
In den nächsten Jahren sind vermehrt Regierungsbeteiligungen von rechtskonservativen und rechtsextremen Parteien in Europa erwartbar, welche über den Europäischen Rat direkten Einfluss auf die europäische Politik ausüben können.
Die veränderte Zusammensetzung des Parlaments wird zu einer anderen EU-Wirtschaftspolitik führen. Parteien, die sich selbst Zukunftsthemen ins Wahlprogramm geschrieben haben, haben eine Vielzahl an Mandaten eingebüßt. Die Auswirkungen dieser neuen Mehrheitsverhältnisse werden sicherlich schon bei den Gesprächen über die neue Europäische Kommission wahrnehmbar sein.
Bemerkenswert ist nicht zuletzt, welche Wucht die Wahl in den Einzelstaaten entfaltet hat. Besonders eklatant zeigt sich das in Frankreich, wo Präsident Macron Neuwahlen ansetzen ließ. Aber auch in Deutschland wirkt die Europawahl nach. Die Ampelparteien haben allesamt Stimmenanteile verloren. Jedoch sieht keine der Parteien die Notwendigkeit einer Richtungsänderung ihrer Politik, was im Kontext der Bundestagswahl im nächsten Jahr nicht nur für die Wirtschaft mit politischem Konfliktpotenzial einhergehen kann. So gilt auch hier: Lieber weiter so wie bisher, als Fortschritt wagen. Eine mittelstandsfreundliche Politik sieht anders aus.