28.09.2020Hintergrund

Lieferketten nach Corona – das Ende einer Ära?

In Zeiten der Globalisierung erstrecken sich Lieferketten über die ganze Welt. Geht der Trend zurück zur Regionalisierung?

 

Nach 2020 könnten sich die Lieferketten so abrupt wandeln wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Was sind neben Corona die Trends, die dies herbeiführen? Wie können sich Unternehmen gegen Disruptionen schützen? Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich mittel- und langfristig aus diesen Veränderungen? 

Es ist allseits bekannt, dass nahezu alle Volkswirtschaften heutzutage sehr international und global aufgestellt sind, insbesondere Deutschland. Neben vielen Vorteilen gehen mit dieser internationalen Vernetzung jedoch auch große Abhängigkeiten einher, unter anderem bei den Lieferketten.

Vorherige Krisen wie das Erdbeben im Indischen Ozean (2004), der Vulkanausbruch auf Island (2010) oder das Erdbeben und der Tsunami in Japan (2011) haben der Globalisierung nichts anhaben können. Die weltweite Verbreitung des Coronavirus und die drastischen Maßnahmen vieler Regierungen zur Eindämmung der Pandemie haben die Nachteile komplexer Lieferketten für Unternehmenschefs nun jedoch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Verschärfte Grenzkontrollen, geänderte Ein- und Ausfuhrbedingungen, aber auch Krankheitsfälle haben die Produktion in vielen Regionen der Erde stark eingeschränkt. Noch im Juli waren nach der Sonderumfrage des AHK World Business Outlook so knapp ein Drittel der deutschen Unternehmen von Problemen in Lieferkette und Logistik betroffen.[1] Denn bei komplexen Produkten kann schon ein einziges fehlendes Teil die Fertigstellung verhindern.

 

Politische Interventionen beeinflussen Welthandel

Es gibt jedoch auch einen zweiten Trend, der zu starken Verwerfungen bei den Lieferketten führt. Er ist schon vor Jahren sehr deutlich ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, aber durch die Pandemie überschattet worden: Regierungen stellen bei der Herkunft von Rohstoffen, Vorprodukten und Investitionsgütern immer stärker ihre politischen Beziehungen sowie damit verbundene strategische Interessen in den Vordergrund. Darüber hinaus mischen sie sich auch aktiver als zuvor direkt in Entscheidungen ein, die vormals Sache von privaten Unternehmen oder Organisationen der öffentlichen Hand waren. Die Fälle sind sehr zahlreich, vor allem in den USA seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump. So führt die Abwärtsspirale bei den Beziehungen zu China dazu, dass Lieferantenbeziehungen bei Hochtechnologie vermehrt gekappt werden. Ein Beispiel dafür ist 5G und der chinesische Anbieter Huawei. Sollte dem Telekommunikationsausrüster auch in Deutschland der Marktzugang verwehrt werden, beispielsweise durch das Stellen unerfüllbar hoher Ansprüche, hinterlässt dieser Trend auch hierzulande seine Spuren.

Auch politische Konflikte, Handelskriege, wirtschaftliche Unsicherheit und Strukturwandel, Produktionsausfälle, Rohstoffmangel und Klimaveränderung stellen Risiken für globale Lieferketten dar, die nicht erst seit Corona bedacht werden müssen und zukünftig teils an Bedeutung gewinnen.

 

Regional statt global

Die direkte Folge daraus ist, dass Unternehmen ihre Lieferketten stabiler und krisenfester aufstellen. So suchen nach einer Sonderumfrage des AHK World Business Outlook 38 Prozent der international tätigen, deutschen Unternehmen vermehrt nach neuen Lieferanten.[2] Besonders die kleineren Unternehmen versuchen, sich dabei verstärkt auf europäische Partner zu konzentrieren. Diese Daten unterstützen auch den aktuellen Gesamteindruck, dass die USA ihre Rohstoffe und Vorprodukte vermehrt aus Lateinamerika beziehen und westeuropäische Nationen verstärkt mit osteuropäischen Lieferanten zusammenarbeiten. Diese Umstellungen werden teilweise jedoch noch andauern. Schließlich reicht die bloße Versendung einer CAD-Datei in der Regel nicht aus. Stattdessen müssen Unternehmen über eine längerfristige Zusammenarbeit feststellen, ob der Lieferant durchgängig hochwertige Vorprodukte liefert.

Der Gipfel der Globalisierung scheint also zunächst überschritten. Dies kann bedauert werden, sollte aber auch zum Innehalten dienen und als eine Chance betrachtet werden. Wie bei jeder Entwicklung wird es Gewinner und Verlierer geben.

Wichtig ist deshalb, dass Unternehmen jetzt die richtigen Maßnahmen ergreifen. Neben der bereits angesprochenen und sicher sinnvollen Regionalisierung der Lieferketten sollten Firmen so beispielsweise auch wieder bestimmte, wichtige  Komponenten vorrätig haben, um z.B. auf den kompletten Ausfall von Lieferungen aus Asien vorbereitet zu sein.

 

Lieferketten unter die Lupe nehmen

Eine weitere Maßnahme ist die Investition in das Mapping von Liefernetzwerken. Dabei werden die Lieferketten der (fünf) wichtigsten Produkte des eigenen Unternehmens, von Lieferanten über Sublieferanten bis zu den Rohstofflieferanten analysiert und alternative Produktionsstandorte erörtert. Der Prozess ist aufwendig und teuer, sollte sich aber lohnen. Unternehmen, die besser wissen, welche Lieferanten, Standorte, Teile und Produkte ausfallen könnten, konnten während der Corona-Pandemie schneller dringend benötigte Bestände auffüllen und die Produktionskapazitäten in alternativen Werken erhöhen.

Zu guter Letzt können auch innovative Technologien zum Einsatz kommen. So entwickelt das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz eine Anwendung namens "Spaicer", die mit künstlicher Intelligenz Risiken rechtzeitig erkennen und Alternativen vorschlagen können soll. Dafür werden auch automatisch externe Daten wie politische Analysen und Rohstoffpreise ausgewertet. Ist das Kind aber schon in den Brunnen gefallen und eine Lieferkette unterbrochen worden, können digitale Plattformen wie beispielsweise X-Tron helfen. Auf dem digitalen Marktplatz aus Deutschland können Unternehmen Aufträge ausschreiben und so neue Lieferanten finden. Handelt es sich um ein internationales Geschäft, kann es anschließend auch gleich über die Plattform abgesichert oder finanziert werden.

 

Chancen und Risiken der Regionalisierung

Vor allem die Regionalisierung hat auch viele mittel- bis langfristige Folgen. Zunächst das Positive: Die Notwendigkeit für sicherere Lieferketten kann einige Entwicklungen entscheidend beschleunigen, beispielsweise Fortschritte beim 3D-Druck. Und der regionalere Bezug von Vorprodukten vereinfacht vieles. Die Verkürzung der Transportwege ist sehr viel ökologischer, man hat es – beispielsweise in Osteuropa – mit einer der deutschen viel ähnlicheren Mentalität zu tun, Ideendiebstahl ist deutlich seltener – und schwieriger, weil im Gegensatz zu China keine Joint Ventures notwendig sind. Auch der Abschluss von Verträgen geht leichter von der Hand: Man spart sich internationale Anwälte, gegebenenfalls können sogar deutsche Verträge verwendet werden.

Zu den Herausforderungen einer Regionalisierung gehört der Anstieg der Lohnstückkosten, was sich für Unternehmen im internationalen Wettbewerb bemerkbar machen und indirekt zu höheren Preisen führen kann. Der Kostenanstieg sollte aber auch nicht dramatisiert werden, denn gerade aus Fernost sind Komponenten mittlerweile nicht mehr so viel günstiger, wenn alle Kosten Berücksichtigung finden. Inklusive Logistik, staatlicher Gebühren, Qualitätsprüfung und Kommunikationsaufwand liegt die Ersparnis nur noch bei circa fünf Prozent, wie Ronald Bogaschewsky, Professor für Industriebetriebslehre an der Universität Würzburg, feststellt.[3]

Es ist nicht das erste Mal, dass die Globalisierung abkühlt. Schon mit dem ersten Weltkrieg ist eine lange Periode des internationalen Austauschs zu Ende gegangen, die mit einer jährlichen Zunahme des Welthandels von 3,5 Prozent zwischen 1871 und 1914[4] deutlich über der Expansion des letzten Jahrzehnts lag.[5] Obwohl es sich auch heute wie ein Rückschritt anfühlt, müssen wir diesmal jedoch zum Glück keine solchen Verwerfungen befürchten, wie sie damals bevorstanden. Im Gegenteil – wir können der Zukunft mit der Gewissheit entgegenblicken, dass die Entwicklung diesmal vor allem Chancen mit sich bringt, die es zu nutzen gilt.

 


[1] DIHK (2020): AHK World Business Outlook.
[2] DIHK (2020): AHK World Business Outlook.
[3] Deutsche Welle (2020): Corona lässt Lieferketten kürzer werden.
[4] Die Volkswirtschaft (2020): Was ist Globalisierung – und wie hat sie sich entwickelt?
[5] Bundeszentrale für politische Bildung (2019): Entwicklung des grenzüberschreitenden Warenhandels.

 

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