12.02.2021Monitoring

Lieferkettengesetz: Herausforderungen und Belastungen für den Mittelstand

Kurz zusammengefasst

Die Bundesregierung plant ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen zur Überprüfung und Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte entlang ihrer Lieferketten verpflichten soll.

Der DMB verfolgt die Entwicklungen und stellt alle relevanten Hintergrundinformationen bereit.

 


Die Ereignisse im Detail

12.02.2021 | Bundesregierung einigt sich auf Lieferkettengesetz

Nach monatelangen Verhandlungen einigt sich die Bundesregierung auf ein Lieferkettengesetz. Die drei beteiligten Ressorts – das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – verständigen sich auf einen gemeinsamen Referentenentwurf. Der ursprüngliche Entwurf wurde dabei deutlich entschärft.

Die geplante Regelung betrifft nun nicht bereits Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, sondern nur größere Betriebe. Das Gesetz soll zunächst ab 2023 für in Deutschland ansässige Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern gelten – ab 2024 soll der Regelungsbereich dann auch auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten ausgeweitet werden.

Für Unternehmen dieser Größenordnung entsteht durch das Lieferkettengesetz eine sogenannte Sorgfaltspflicht, nach der sie die Auswirkungen ihrer geschäftlichen Aktivitäten entlang ihrer Lieferketten auf Menschen- und Arbeitsrechte mittels einer Risikoanalyse überprüfen müssen. Bei Verstößen drohen Bußgelder. Zudem sollen Unternehmen, gegen die ein hohes Bußgeld verhängt wurde, für drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. Die Kontrolle des Gesetzes obliegt dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.

Ein zentraler Streitpunkt zwischen den Ministerien war die Frage, ob Unternehmen für das Verhalten all ihrer Zulieferer haftbar gemacht werden können. Nach der nun vorliegenden Einigung sollen betroffene Firmen nur gewährleisten, dass es im eigenen Geschäftsbereich und bei ihren unmittelbaren Zulieferern zu keinen Menschenrechtsverstößen kommt. Mittelbare Zulieferer, zu denen keine direkte Geschäftsbeziehung besteht, müssen nur abgestuft geprüft werden. Eine Überprüfung mit Risikoanalyse ist hier nur erforderlich, wenn Beschwerden über Menschenrechtsverstöße, etwa von Mitarbeitern des Zulieferers, eingehen.

Auch die ursprünglich vorgesehene zivilrechtliche Haftung für betroffene Unternehmen ist nicht mehr Teil des Gesetzes.

14.07.2020 | Ankündigung einer gesetzlichen Regelung

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz stellen Bundesentwicklungsminister Gerd Müller und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die ersten Ergebnisse der zweiten Befragungsrunde vor und kündigen eine gesetzliche Regelung an, da die freiwillige Selbstverpflichtung die angestrebte Quote von 50 Prozent deutlich verfehlt. Das geplante Lieferkettengesetz soll für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten gelten.

März – Mai 2020 | Zweite Befragungsrunde

Im Frühjahr 2020 findet von März bis Mai die zweite Befragungsrunde statt. Diesmal werden rund 2.2200 Unternehmen angeschrieben und aufgefordert, sich an der Befragung zu beteiligen. 455 Fragebögen werden eingereicht.

Die Auswertung ergibt, dass erneut deutlich weniger als 50 Prozent der befragten Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht zur Wahrung der Menschenrechte nachkommen. 13 bis 17 Prozent der betrachteten Unternehmen erfüllen die NAP-Anforderungen vollständig ("NAP-Erfüller“), weitere 10 bis 12 Prozent befinden sich "auf einem guten Weg“. Die Gruppe der "Erfüller" hat sich damit im Vergleich zur ersten Befragungsrunde im Jahr 2019 kaum verändert. 

August – Oktober 2019 | Erste Befragungsrunde

Von August bis Oktober 2019 findet die erste Runde der Unternehmensbefragung statt. Dabei soll ermittelt werden, wie viele deutsche Unternehmen die Kriterien zur Wahrung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferketten bereits freiwillig erfüllen. 3.300 Unternehmen werden angeschrieben – rund 465 Fragenbögen können ausgewertet werden. Die Ergebnisse zeigen, dass nur 17 bis 19 Prozent der befragten Firmen alle Anforderungen erfüllen. 78 bis 81 Prozent gelten als sogenannte „Nicht-Erfüller“.

12.03.2018 | Koalitionsvertrag sieht gesetzliche Regelung vor, falls Freiwilligkeit scheitert

Auch im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD wird vereinbart, dass eine gesetzliche Regelung auf den Weg gebracht werden soll, falls die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen unzureichend ist.

Im Koalitionsvertrag heißt es dazu:
„Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Seite 154).

16.12.2016 | NAP wird beschlossen

Das Bundeskabinett beschließt den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien (NAP), der unter der Federführung des Auswärtigen Amtes umgesetzt werden soll. Damit werden die im Juni 2011 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte auf nationaler Ebene implementiert. Diese sollen die Verletzung von Menschenrechten durch Unternehmen verhindern und die unternehmerische Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte in globalen Lieferketten neu definieren.

Die Bundesregierung setzt zunächst auf ein freiwilliges Engagement deutscher Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten in ihren Lieferketten. Der NAP sieht allerdings die Prüfung einer gesetzlichen Regelung vor, wenn weniger als 50 Prozent der Unternehmen ihre unternehmerische Sorgfaltspflicht erfüllen. Um die Einhaltung dieses Grenzwerts zu ermitteln, wird ein Überprüfungsmechanismus in Form von Unternehmensbefragungen eingerichtet.

Umsetzung und nächste Schritte

Der Referentenentwurf befindet sich zurzeit in der Ressortabstimmung – letzte Details, wie etwa die Höhe der Bußgelder, müssen noch geklärt werden. Als Nächstes muss der Gesetzentwurf vom Kabinett beschlossen und anschließend vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden. Dies soll noch in der laufenden Legislaturperiode geschehen. Das Gesetz soll dann zum 1. Januar 2023 in Kraft treten, damit betroffene Unternehmen ausreichend Zeit haben, um sich auf die Änderungen vorzubereiten. 

Warum relevant für den Mittelstand?

Insbesondere größere Mittelständler – viele davon Hidden Champions oder erfolgreiche Familienunternehmen – sind sehr international aufgestellt. Sie exportieren ihre Waren in die ganze Welt und importieren gleichzeitig Vorprodukte für ihre Fertigung nach Deutschland. In Zeiten der Globalisierung enthalten diese Vorprodukte Komponenten aus den unterschiedlichsten Ländern. Viele deutsche Mittelständler sind deshalb in internationale Liefer- und Wertschöpfungsketten eingebunden und fallen ab einer bestimmten Größe in den Regelungsbereich des Gesetzes. 

Die DMB-Bewertung

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Der deutsche Mittelstand steht im besonderen Maße für verantwortungsvolles Unternehmertum. Die Achtung der Menschen- und Arbeitsrechte ist deshalb für deutsche Mittelständler grundsätzlich eine Selbstverständlichkeit.

Die nach den Plänen der Bundesregierung geforderte Sorgfaltspflicht ist aber realitätsfremd. Globale Lieferketten können sich in einer vernetzten Weltwirtschaft schnell über mehrere Länder auf verschiedenen Kontinenten erstrecken und zahlreiche Unternehmen umfassen. Eine tatsächliche Überprüfung der Umstände an den einzelnen Standorten vor Ort ist für den Mittelstand schlichtweg nicht zu leisten. Positiv ist, dass die Regelungen nun – vor allem auf Betreiben von Wirtschaftsverbänden wie dem DMB – entschärft wurde. Eine zivilrechtliche Haftung ist ebenso wie eine direkte Überprüfung von mittelbaren Lieferanten nicht mehr vorgesehen. Außerdem soll das Gesetz nur noch für größere Unternehmen gelten. Damit wird der Großteil des deutschen Mittelstandes zu Recht nicht von der Regelung erfasst. Große Mittelständler sind dennoch betroffen. Inmitten einer der schwersten Wirtschaftskrisen seit Bestehen der Bundesrepublik stellt das Lieferkettengesetz für sie eine zusätzliche bürokratische Belastung dar.

Statt eines nationalen Alleingangs sollte die Bundesregierung auf eine zügige europäische Regelung hinwirken, damit für alle Unternehmen in der EU die gleichen Spielregeln gelten und für die deutsche Wirtschaft kein Wettbewerbsnachteil entsteht. Zusätzlich muss die Bundesregierung weiterhin mit Nachdruck auf die nationalen Regierungen der von Menschenrechtsverletzungen betroffenen Staaten einwirken und sie in die Pflicht nehmen, Menschenrechtsstandards vor Ort einzuhalten und Verstöße konsequent zu ahnden.

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