16.03.2023Interview

„Mit schlechter Beratung kann man Geld schnell verbrennen“

Im ersten Teil des Interviews mit Eva Gysling, Dr. Jürgen Hoffmann und Carsten Rüscher wurde über Agilität, Widerstandsfähigkeit und die Wechselwirkung von Digitalisierung Agilisierung diskutiert. Im zweiten Teil des Gesprächs plädieren die drei Vorstände des Scrum Alliance D-A-CH e.V., für eine intelligente Kombination agiler Methoden, erläutern die Ziele der Scrum Alliance und sprechen mit uns darüber, warum Scrum und Agilität gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen Sinn machen.    

DMB: Scrum ist noch nicht ganz so bekannt in KMU. Was ist denn Scrum eigentlich ganz genau?

Jürgen Hoffmann: Also bei der Frage, wie bekannt Scrum ist, da bewegen wir drei uns sicherlich in unserer eigenen Blase. In unseren Augen ist Scrum natürlich sehr bekannt und oftmals auch ein Synonym für Agilität. Und alle jene, die uns ansprechen, die haben natürlich von Scrum schon einmal gehört. Und darunter sind auch viele KMU und Mittelständler. Und zum zweiten Teil der Frage und ganz kurz in einem Satz: Scrum ist ein Framework zur Entwicklung von Produkten mit Kunden.

Carsten Rüscher: Wobei man hier jetzt das Verständnis von Produkten noch mal definieren muss. Bei einem Produkt muss es sich ja nicht zwangsläufig um einen Bleistift oder um eine Software handeln.

Jürgen Hoffmann: Genau. Der Scrum-Guide sagt uns, dass ein Produkt ein physisches Produkt wie zum Beispiel der Bleistift oder das Handy sein kann oder aber eben ein Softwareprodukt. Aber genauso gut kann es auch ein Service sein, also eine irgendwie geartete Dienstleistung oder auch irgendetwas anderes Konzeptionelles, was wir dann als Produkt anschauen. Es sollte nur einen gewissen Komplexitätsgrad haben. Denn eine Aufgabe, die von einer einzelnen Person gut bewältigt werden kann, die würden wir nicht mit einem Team bearbeiten lassen.

Carsten Rüscher: Das Thema Komplexität ist sehr wichtig. Wenn ich weiß, wie ich etwas herzustellen habe – und zwar schon von vornherein bis ins letzte Detail – dann macht ein Scrum kaum Sinn. Wenn ich mich aber in experimentellen Bereichen befinde, wenn ich vielleicht erst einmal lernen muss, wenn ich iterativ beziehungsweise schrittweise vorgehen muss, um ein mögliches gutes Ergebnis zu erzielen, dann ist Scrum sehr sinnvoll.    

 

Wie ist das: Setzt man unterschiedliche agile – es gibt ja u.a. noch Kanban oder Design Thinking – Methoden parallel ein?

Jürgen Hoffmann Das ist ein bisschen, wenn man so will, der Fluch des Namens unserer Organisation. Also die Scrum Alliance gibt es ja schon recht lange. Das ist eine der ersten Organisationen gewesen, die im Bereich Agilität gegründet wurde und die entsprechend bekannt ist. Es gibt aber auch die Agile Alliance, mit der es einen steten Austausch gibt. Und eigentlich ist die Scrum Alliance eine Dachorganisation, unter dem sich alle möglichen Experten zusammengefunden haben, die sich für das Thema Agilität interessieren. Und wenn wir einen typischen Scrum Master ausbilden, erwarten wir auch, dass sie oder er sich mit Scrum genauso wie mit Kanban oder Design Thinking oder Design Sprints bewegen kann. Was dann beim Kunden eingesetzt wird, hängt von der jeweiligen Notwendigkeit und dem entsprechenden Projekt im Unternehmen ab. Was braucht es jetzt gerade, um den nächsten erfolgreichen Schritt zu machen für das Produkt oder für das Produktportfolio? Wir sind da, was Kompetenzen angeht, sehr breit aufgestellt. Insofern ist der Name Scrum Alliance eigentlich zu eng gefasst für das, was wir tatsächlich tun.

Carsten Rüscher: Da gibt es tatsächlich kein Entweder-oder, sondern es ist im besten Fall eine intelligente Kombination der Methoden. Und das ist ganz wichtig. Denn wenn man das verstanden hat, wird die größte Wertschöpfung erreicht. Es gibt da so einen schönen Satz. „Das Scrum-Team trifft sich vor dem Kanban-Board.“ Eine intelligente Kombination der Frameworks macht den Unterschied im positiven Sinne aus.  

Eva Gysling: Es kann aber auch durchaus sein, dass es je nach Situation noch Spezialisten braucht. Jeder Scrum Master sollte über ein breites Wissen verfügen, aber es kann gut sein, dass man für ein Projekt zum Beispiel noch einen Design-Thinking-Experten braucht. Aber Vorsicht! Was ich leider auch oft beobachte, ist, dass Berater versuchen, mit ihrem Spezialgebiet in Bereiche zu gehen, die eigentlich nicht zu ihrem Gebiet passen.

 

Das ist sehr spannend. Schließlich ist es oft so, dass bestimmte Ansätze oder Methoden eher als konkurrierend denn als ergänzend betrachtet werden.  

Jürgen Hoffmann: Richtig, wenn man sich das allerdings ganz genau anschaut, stellt man fest, dass es nicht die Methoden, sondern eigentlich immer die Menschen sind, die in Konkurrenz zueinanderstehen. Der eine hat halt eine Ausbildung in Design Thinking und der andere hat eine Ausbildung in Kanban. Beides kann sich, je nach Projekt, sehr gut ergänzen. Deshalb würden wir für Beratungsprozesse immer jemanden empfehlen, der in seinen Kenntnissen breit aufgestellt ist. Denn wir wissen aus Erfahrung, dass solche Berater ihren Kunden nicht bloß irgendetwas empfehlen, nur weil es das Einzige ist, was sie können.

Carsten Rüscher: Für mich ist das ein wichtiger Punkt und hier liegt auch der große Unterschied zwischen Beratern und wirklich guten Beratern. Mit guter Beratung kann man als Unternehmerin oder Unternehmer Geld verdienen beziehungsweise mit schlechter Beratung kann man Geld schnell verbrennen.

Jürgen Hoffmann: Nehmen wir das Beispiel eines Unternehmens, das wir vor einigen Jahren beraten haben. Die haben vor etwa zehn Jahren eine Initiative gestartet, um in den Smart Home Bereich zu gehen. Also digitale Heizungssteuerung, Rollläden hoch und runter, Garagentor, Überwachung und so weiter. Und dafür wurde eine eigene GmbH ausgegründet. Und in der Entwicklung wurde Scrum eingesetzt, um diese ganzen neuen Komponenten zu entwickeln. Und im Rahmen dessen war es immer wieder sinnvoll, Design-Sprints zu machen. Das heißt, für eine Woche, sich auf eine ganz bestimmte Fragestellung zu fokussieren. Da haben wir eine ganze Serie von Design-Sprints durchgeführt. Und das hat dann den entscheidenden Vorteil in der Entwicklung gebracht, sodass die Initiative insgesamt ein großer Erfolg wurde.  

 

Was ist eigentlich die Mission der Scrum Alliance?

Jürgen Hoffmann: Die Scrum Alliance, als große weltweite Organisation, ist eine NGO (Nichtregierungsorganisationen; Anm. d. Red.), also ein Verein, der Individuen und Organisationen inspiriert, agile Praktiken, Prinzipien und Werte einzusetzen, um Arbeitsplätze zu erzeugen oder zu schaffen. Arbeitsplätze die Spaß machen und nachhaltig sind und die einen großen Beitrag zur Wertschöpfung bringen.

In diesem Sinne ist unser deutschsprachiges Chapter für Einzelpersonen und Unternehmen, die auch dieses Ziel haben, glücklich machende, nachhaltige und erfolgreiche Arbeitsumgebungen zu schaffen. Dafür sind wir die primäre Anlaufstelle. Das Chapter gibt Orientierung, weist auf vertrauenswürdige Partner und qualifizierte Lernangebote hin. Und wir unterstützen auch die ganze agile Community mit vielfältigen Arbeitsgruppen rund um agile Praktiken, Prinzipien und Werte. Das heißt, wenn wir ein wichtiges Thema identifizieren, gibt es da eine Arbeitsgruppe zu. Also wer auch immer da ein Thema hat, sagt: „Ich möchte mal über Agilität in diesem oder jenen Bereich sprechen“. Da entsteht dann unkompliziert ein Rahmen und Möglichkeiten und das unterstützen wir sowohl finanziell als auch mit technischen Ressourcen. Und unsere Community Scrum Masterin Roza Silva, hält diese Gemeinschaft wunderbar zusammen.

 

Welche Rolle können KMU oder der Mittelstand für die Scrum Alliance spielen oder umgekehrt?

Jürgen Hoffmann Wir haben den Mittelstand nicht explizit als Zielgruppe im Visier. Wenn wir Agilität betrachten, würde ich sagen, ist die Unternehmensgröße gar nicht so entscheidend. Denn auch in Konzernen werden sich niemals alle 100.000 Mitarbeiter gemeinsam bewegen, sondern es gibt immer Bereiche, Abteilungen, die agiler werden. Und der jeweilige Bereich, mit dem wir dann tatsächlich arbeiten, der fokussiert dann auf ein bestimmtes Segment, einem Spezialgebiet und das ist dann wieder einem KMU sehr ähnlich. In KMU gibt es aber den Vorteil, dass man mit der Geschäftsführung, der Gründerin oder dem Gründer unterwegs ist und spricht und dann können auch alle Entscheidungen schnell gefällt werden. Das ist bei größeren Konzernen manchmal nicht so einfach. Denn dort sind Entscheidungen dann eingebettet in einen Rahmen und dann sagt auch der Bereichsleiter oder Abteilungsleiter gegebenenfalls irgendwann: „Mir sind die Hände gebunden. Ich weiß, dass es jetzt Sinn machen würde, anders zu agieren.“ Wir erleben in unserer Beratungspraxis immer wieder mutige Menschen, die dann Entscheidungen fällen und handeln. Ein treibendes Motiv könnte der Satz sein „Lieber um Verzeihung bitten, als auf Erlaubnis warten.“

Dieses Interview ist Teil von Mittelstand WISSEN zum Thema "Unternehmerische Widerstandsfähigkeit"

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