04.11.2021Fachbeitrag

Chinas Energiewende: Problem oder Potential für den Mittelstand?

56 Prozent des erzeugten Stroms wird in China derzeit aus Kohle gewonnen.

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Energie ist in China ein bedeutsames Thema. Noch ist das Land stark vom Energieträger Kohle abhängig. Gleichzeitig hat die Regierung in Peking beschlossen, dass der CO2-Ausstoß bis 2030 seinen Höchstwert erreicht haben und China bis 2060 CO2-neutral werden soll. Ob diese Klimaziele auch zu fairen Wettbewerbsbedingungen für den deutschen Mittelstand führen, wird sich erst noch zeigen.

Die chinesische Belt and Road Initiative (BRI) wurde bei ihrer ersten Bekanntmachung mit einem gewissen Maß an Ambivalenz und Misstrauen begrüßt. Führende Politiker der Welt, darunter die Vertreter Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens, entschieden sich, das ursprüngliche gemeinsame Kommuniqué nicht zu unterzeichnen.1 In letzter Zeit wurde diese Diskussion über die BRI durch Pragmatismus gemildert.2Realpolitik, wie man in Deutschland sagen würde. Die folgenden zwei Beispiele zeigen, wie dieser Pragmatismus in der Praxis funktionieren - und damit sowohl der Umwelt als auch den deutschen Wirtschaftsinteressen dienen könnte. 


Zwei Beispiele für den herrschenden Pragmatismus gegenüber der BRI

Das markanteste Ergebnis der BRI für den deutschen Güterverkehr wird die Umstellung von Luftfracht auf Schiene und Schiff sein. Dies bedeutet, dass für jeden verschifften Container (TEU-Äquivalent) zwischen Deutschland und China, fast 25 Tonnen CO2 weniger ausgestoßen werden.3 Ende Oktober trafen sich Vertreter des EU-Parlamentsausschusses für Verkehr und Tourismus (TRAN), um die BRI und ihre Auswirkungen auf den Verkehr zu diskutieren.

Ein weiteres Beispiel veranschaulicht den politischen Pragmatismus in Bezug auf die BRI noch konkreter. Nehmen wir einen Windpark, der im Rahmen der Initiative finanziert und gebaut wird. Angesichts des europäischen Know-hows bei der Nutzung der Windenergie, könnte eine solche Investition eine gute Möglichkeit für europäische Dienstleister sein, zur Optimierung der erzeugten Energie beizutragen. Das Entscheidende ist, dass solche Dienstleistungen eine wertvolle Einnahmequelle darstellen. Dieses Beispiel veranschaulicht die Idee des "Kapazitätsaufbaus", eine der wichtigsten Möglichkeiten, wie Unternehmen aus der EU hoffen können, aus der BRI Nutzen zu ziehen. Der wesentliche Punkt ist hier, dass BRI-Investitionen keine einmalige Angelegenheit sind, die mit Fertigstellung des Investitionsprojekts aufhören. Wenn einmal BRI-Investitionen getätigt wurden, können deutsche Dienstleistungsunternehmen ansetzen.

Insgesamt - und auf politischer Ebene - könnte dies bedeuten, dass insbesondere die Projekte identifiziert und katalogisiert werden, bei denen das größte Potential für eine Beteiligung des deutschen Mittelstands und von Dienstleistungsfirmen gesehen wird.  


Energie ist bedeutsames Thema in China

Obwohl die BRI Energieprojekte in Chinas Nachbarschaft aktiv gefördert hat, ist Energie in China ein bedeutsames Thema. – Erst kürzlich hat die chinesische Regierungspartei angekündigt, den Bau von Kraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, in Entwicklungsländern nicht weiter zu finanzieren. – Im September 2021 kam es in 20 Provinzen zu zahlreichen Stromausfällen, die Fabriken vorübergehend lahmlegten oder sie zur Verkürzung der Arbeitszeit zwangen.


Kohle als wichtige Energiequelle

Chinas zentrale Planungsbehörde - die National Development and Reform Commission (NDRC)  - hat eine Richtlinie zur Beschleunigung des Kohletransports erlassen. China ist nach wie vor stark vom Energieträger Kohle abhängig. Die aus Kohle erzeugte Elektrizität macht 56 Prozent des chinesischen Stroms aus. Was den Gesamtverbrauch angeht, steht China weltweit an erster Stelle. Die Kohlevorräte Chinas schwanken jedoch und sind im September dieses Jahres auf ein Rekordtief gesunken.4 Die jüngsten Energieprobleme des Landes wurden durch eine Reihe von Faktoren ausgelöst. Der wohl kritischste Faktor ist das von China veröffentlichte Ziel, die Kohlenstoffintensität (im Vergleich zu 2020) bis 2025 um 18 Prozent zu senken, bis 2030 den Hochpunkt des CO2-Ausstoßes zu erreichen und bis 2060 kohlenstoffneutral zu sein.5

Das Streben nach Kohlenstoffneutralität hat eine Reihe neuer Vorschriften hervorgebracht, von denen einige die kohlebetriebenen Stromerzeuger betreffen. Erschwerend kommt für Chinas Energiesektor hinzu, dass die Nachfrage als Folge der Covid-Pandemie schwankt. Jetzt, da sich die weltweite Nachfrage zu erholen beginnt, konnte die Energieproduktion mit diesem Nachfrageanstieg nicht mehr Schritt halten.


Stromausfälle treffen alle Unternehmen in China

Welche Auswirkungen haben diese Stromausfälle auf deutsche und europäische Unternehmen? Die Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen in den betroffenen Provinzen sind von den Stromausfällen ebenso betroffen wie lokale Unternehmen. Unternehmen, die in der Schwerindustrie tätig sind (z. B. Zementherstellung), sind am stärksten betroffen, da ihre Produktionsprozesse am meisten auf Energie angewiesen sind. Die meisten Unternehmen mit deutscher Beteiligung fallen jedoch nicht in die Kategorie der Schwerindustrie. Dennoch sind diese Unterbrechungen der Produktion und der Dienstleistungen besorgniserregend.


Klimaschutzregeln sind schwer vergleichbar

Dies bringt uns zurück zu einem der Hauptgründe für die Stromausfälle - Chinas selbsternanntes Ziel, bis 2030 den Hochpunkt der Kohlenstoffemissionen zu erreichen und bis 2060 kohlenstoffneutral zu sein. Die im 14. Fünfjahresplan formulierten Umweltbeschlüsse scheinen sich durchzusetzen – zumindest, wenn man die Rolle der Umweltvorschriften bei der Verschärfung der Stromausfälle betrachtet. Wie tiefgreifend sind diese umweltpolitischen Beschlüsse? Wie lassen sie sich mit der deutschen Initiative für eine grüne Wirtschaft vergleichen? Tatsächlich ist es nicht einfach, entsprechende Vergleiche zu ziehen.


Staaten versuchen Alleingänge grundsätzlich zu vermeiden

Der deutsche Mittelstand zahlt mit die höchsten Strompreise der Welt, wie ein Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi 2020) zeigt, der vom Kieler Institut mitverfasst wurde. Diese hohen Energiekosten sind zu einem großen Teil der deutschen EEG-Umlage geschuldet. Die einseitige Verabschiedung von Regelungen wie dem EEG durch Deutschland war ein riskanter Schritt für die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Mittelstands.  Aus diesem Grund versuchen Länder in der Regel, Alleingänge zu vermeiden und den Wettbewerbsdruck auf ihre Industrie zu minimieren. Daher ist der Beschluss der chinesischen Regierungspartei, Anreize für den Übergang zur Kohlenstoffneutralität zu schaffen, zu begrüßen. Chinas Übergang zu grüner Energie kann, wenn er zu einer Konvergenz der Energiepreise und einer wettbewerbsfähigen Angleichung an Deutschlands Hochsteuer-Energieagenda führt, nur gut sein. Doch das wird sich erst mit der Zeit zeigen.


Fußnoten und Quellen

Fußnoten

1 z. B. The Economist, 2017; European Council of Foreign Relations, 2017

2 z. B. Cornell und Swanström, 2020

3 Bericht des Europäischen Parlaments, 2018

4 EU Today, 03.10.2021

5 14. Fünfjahresplan, Kapitel 3 Abschnitt 2

 

Quellen

The Economist, “What is China’s belt and road initiative? The many motivations behind Xi Jinping’s key foreign policy”, 15. Mai 2017

European Council of Foreign Relations , ECFR, 2017, “China’s Belt and Road – new name, same doubts?”. (https://ecfr.eu/article/commentary_chinas_belt_and_road_new_name_same_doubts/, Zugriff am 27.10.2021)

EU Today, “Power outages as China's energy sector struggles with multiple realities”, (https://eutoday.net/news/energy/2021/power-outages-as-chinas-energy-sector-struggles-with-multiple-realities, Zugriff am 27.10.2021)

Cornell, S. and N. Swanström, 2020, “Compatible Interests? The EU and China’s Belt and Road Initiative”, Institute for Security and Development Policy (ISDP), February 2020, Nacka, Sweden (https://isdp.eu/publication/compatible-interests-the-eu-and-chinas-belt-and-road-initiative/, Zugriff am 27.10.2021)European Parliament, DF for Internal Policies, “Research for TRAN Committee: the new Silk Route – opportunities and challenges for EU transport”, (http://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=IPOL_STU(2018)5 85907_EN.pdf, Zugriff am 27.10.2021)

Hanley, A. (with L. Du and C. Wei), ‘Estimating the Marginal Abatement Costs of Carbon Dioxide Emissions in China: A Parametric Analysis’), 2015, Environmental and Resource Economics, 61(2)

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, 2020, "Analyse der industrierelevanten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland im internationalen Vergleich“, 29.05.2020, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/industriestudie.html, Zugriff am 27.10.2021)

 

 

Dieser Artikel ist Teil der Beitragsserie Internationale Klimapolitik

 

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