„Digitale Kompetenzen gewinnen in allen Bereichen an Bedeutung“
Die digitalen Fähigkeiten von Arbeitnehmern sind mitentscheidend für die unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit von Morgen. Im DMB-Interview spricht Dr. Roland A. Stürz – Leiter des Think Tanks am Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) – über das Niveau an Digitalkompetenzen in Deutschland und stellt das bidt-SZ-Digitalbarometer vor. Wie gut sind Unternehmen derzeit aufgestellt und was muss die Politik tun, um die digitale Transformation in der Arbeitswelt voranzutreiben?
DMB: Herr Dr. Stürz, bitte stellen Sie den bidt Think Tank einmal vor.
Stürz: Der bidt Think Tank ist eine Abteilung des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt), die sich zum Ziel gesetzt hat, ein unabhängiges, faktenbasiertes Bild über den Stand der digitalen Transformation zu vermitteln. Dazu bereiten wir zum einen bestehende Zahlen und Indikatoren zu verschiedenen Aspekten der digitalen Transformation auf. Zum anderen erheben wir auch eigene Zahlen, Daten und Fakten zum digitalen Wandel. So haben wir z. B. mit dem bidt-SZ-Digitalbarometer – ein Gemeinschaftsprojekt des bidt und des SZ Instituts der Süddeutschen Zeitung – eine großangelegte Befragung der deutschen Wohnbevölkerung zu verschiedenen Themen der digitalen Transformation durchgeführt. Letztlich wollen wir mit unserem Zahlenmaterial im Think Tank und mit der Forschung am bidt dazu beitragen, die Entwicklungen und Herausforderungen der digitalen Transformation besser zu verstehen. Damit versetzen wir dann auch Entscheiderinnen und Entscheider in der Gesellschaft, der Politik, der Wirtschaft und der Wissenschaft in die Lage, fundierte und stärker evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen. Entsprechend stoßen wir mit unseren Forschungsergebnissen Debatten an und geben Anregungen sowie Empfehlungen zu einer erfolgreichen Gestaltung der digitalen Transformation.
Im vergangenen Jahr wurde das bidt-SZ-Digitalbarometer zum ersten Mal erhoben. Welchen Beitrag zur digitalen Transformation möchte das bidt damit leisten?
Mit dem bidt-SZ-Digitalbarometer wollen wir genau das leisten, was die Ziele des bidt Think Tank sind. Also zum einen die Entwicklungen und Herausforderungen der digitalen Transformation besser verstehen. Dazu haben wir über 9.000 Personen in Deutschland repräsentativ zu ihrem Online-Nutzungsverhalten, zu ihren digitalen Kompetenzen, zur digitalen Transformation der Arbeitswelt, zu E-Government und zu ihren Einschätzungen und Einstellungen im Hinblick auf Künstliche Intelligenz befragt. Wir können damit also verschiedene Aspekte des digitalen Wandels besser beleuchten und verstehen. So können wir z. B. Aussagen über die Verteilung der digitalen Kompetenzen in der deutschen Bevölkerung treffen oder Defizite bei der digitalen Transformation der Arbeitswelt identifizieren. Mit den Daten können wir dann zum anderen aber auch Debatten anstoßen und Empfehlungen geben. Zum Beispiel indem wir aufzeigen, mit welchen Maßnahmen auch ältere Menschen zu einer Teilhabe am digitalen Leben bewegt werden können oder welche Gruppen von Berufstätigen gezielt mit Weiterbildungsangeboten zu digitalen Kompetenzen adressiert werden sollten.
Aktuell führen wir zudem Vergleichserhebungen in sechs europäischen Ländern zum bidt-SZ-Digitalbarometer durch. Damit können wir dann noch deutlicher Stärken und Schwächen der digitalen Transformation in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern aufzeigen und entsprechend Implikationen ableiten, wo und vor allem auch wie wir besser werden müssen.
Laut „DESI“ (Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft) fehlt es rund 37 % der Erwerbstätigen in der EU an digitalen Grundkompetenzen. Was sind die wesentlichen Erkenntnisse der bidt-SZ-Erhebung in Bezug auf digitale Kompetenzen in der Arbeitswelt?
Zunächst einmal denke ich, muss man dazu kurz erläutern, wie wir im bidt-SZ-Digitalbarometer digitale Kompetenzen messen. Wir machen das mit Hilfe eines Selbsteinschätzungstests, der von der gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission entwickelt wurde und der auf dem europäischen Referenzrahmen für digitale Kompetenzen beruht. Dieser Referenzrahmen enthält dabei verschiedenste digitale Kompetenzen, die für alle Bürgerinnen und Bürger der EU für eine Teilhabe am digitalen Leben wesentlich sind, und beruht nicht etwa auf Spezialkompetenzen für IT-Berufe. Die einzelnen Kompetenzen lassen sich insgesamt fünf Kompetenzdimensionen des Referenzrahmens zuordnen: „Umgang mit Informationen und Daten“, „Kommunikation und Zusammenarbeit“, „Erzeugen von digitalen Inhalten“, „Sicherheit“ und „Probleme lösen“. Auch die digitalen Fähigkeiten im DESI beruhen auf diesem Referenzrahmen. Während diese beim DESI jedoch mit wenigen spezifischen und tatsächlich durchgeführten Tätigkeiten näherungsweise gemessen werden, basiert der Selbsteinschätzungstest auf konkreten Wissens-, Fähigkeiten- und Einstellungsfragen. Insgesamt können die Befragten bei diesem Selbsteinschätzungstest 82 Einzelaussagen aus den fünf verschiedenen Kompetenzdimensionen auf einer vierstufigen Skala beantworten. Damit taucht der Selbsteinschätzungstest in gewisser Weise genauer und differenzierter in den europäischen Referenzrahmen für digitale Kompetenzen ein, als das bei den digitalen Fähigkeiten im DESI der Fall ist. Über alle bewerteten Einzelaussagen hinweg bilden wir dann einen Index von 0 bis 100 Punkten – wobei 100 Punkte für optimale Kompetenzen in diesem Selbsteinschätzungstest stehen.
Für Berufstätige in Deutschland erhalten wir insgesamt im Durchschnitt einen Wert von 62 von 100 möglichen Punkten. Je nach Kompetenzdimension besitzen zwischen 58 % und 91 % der Berufstätigen immerhin mittlere bis fortgeschrittene digitale Kompetenzen. In der Kompetenzdimension „Umgang mit Informationen und Daten“ haben die meisten Berufstätigen mittlere bis fortgeschrittene digitale Kompetenzen in der Kompetenzdimension „Erzeugen von digitalen Inhalten“ die wenigsten. Blickt man genauer in die Daten, stellt man fest, dass ein Zusammenhang zwischen der Unternehmensgröße und den durchschnittlichen digitalen Kompetenzen der Beschäftigten besteht. So weisen Mitarbeitende in kleinen Unternehmen mit 1 bis 19 Beschäftigten im Durchschnitt 59 Punkte in dem Selbsteinschätzungstest auf, wohingegen es bei Berufstätigen in Großunternehmen mit 5.000 und mehr Beschäftigten im Durchschnitt 66 Punkte sind. Auch bei digitalen Kompetenzen zeigt sich somit, was sich an Hand anderer Indikatoren feststellen lässt, nämlich dass die digitale Transformation in kleinen und mittleren Betrieben weniger vorangeschritten ist als in Großunternehmen. Kritisch ist in diesem Zusammenhang auch zu sehen, dass die Zahlen des bidt-SZ-Digitalbarometers zeigen, dass Berufstätige in kleinen und mittleren Unternehmen die Weiterbildungsmöglichkeiten zum Thema Digitalisierung schlechter einschätzen als in Großunternehmen. Hier besteht also die Gefahr, dass sich diese digitale Kluft noch weiter verstärkt und nicht reduziert.
Wie wichtig sind digitale Kompetenzen in einer sich ständig verändernden Arbeitswelt? Was bedeutet das derzeitige Niveau an Digitalkompetenzen in der Bevölkerung für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen?
Digitale Kompetenzen gewinnen in der Arbeitswelt immer mehr an Bedeutung. Wichtig ist dabei zu erkennen, dass sie in allen Bereichen und Berufen immer wichtiger werden, nicht nur bei IT-Fachkräften, bei denen wir sowieso seit geraumer Zeit einen erheblichen Fachkräftemangel sehen. So muss z. B. das Servicepersonal in der Gastronomie mit modernen digitalen Geräten versiert umgehen können. Ähnlich ist es in der Logistikbranche. Auch Handwerker haben vermehrt mit digitalen Geräten in ihrem Beruf zu tun, sei es direkt bei der unmittelbaren Arbeit oder aber bei der Beschaffung, Terminvereinbarung oder Abrechnung. Ein weiteres Beispiel für den allgemeinen Bedeutungszuwachs von digitalen Kompetenzen war die verstärkte Nutzung von Homeoffice während der Coronapandemie. So mussten hier viele Beschäftigte allgemeine digitale Kompetenzen u. a. bei Videokonferenzen oder bei kollaborativem ortsunabhängigen Zusammenarbeiten unter Beweis stellen.
Bereits heute sehen wir am akuten Fachkräftemangel ein deutliches Auseinanderklaffen der am Arbeitsmarkt nachgefragten Fähigkeiten und der am Arbeitsmarkt vorhandenen und angebotenen Fähigkeiten. Dieses Auseinanderklaffen stellt langfristig ein großes Problem für unsere Volkswirtschaft und für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen dar. Wenn wichtige Fachkräfte gerade im IKT-Bereich fehlen, um die digitale Transformation voranzutreiben und um neue innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, leidet die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Wenn zusätzlich auch noch Arbeitskräfte mit grundlegenden digitalen Kompetenzen fehlen, um moderne digitale Geräte in verschiedensten Berufen einzusetzen, verstärkt sich das Problem. Wenn das Niveau der grundlegenden digitalen Kompetenzen nicht Schritt hält mit der allgemein voranschreitenden digitalen Transformation, laufen wir also Gefahr, vorhandene, sich aber wandelnde und auch neu entstehende Arbeitsplätze nicht mehr besetzen zu können. Entsprechend muss es verstärkte Bemühungen geben, die digitale Kluft zu schließen und das Niveau der digitalen Kompetenzen in der Bevölkerung zu steigern, so dass es wieder eine verstärkte Passung von nachgefragten und angebotenen Kompetenzen gibt.
Welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht die Fort- und Weiterbildung bei der digitalen Transformation? Können Anpassungsqualifizierungen möglicherweise einen Beitrag bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels leisten?
Da die digitale Transformation ein dauerhaft voranschreitender Wandel ist, ist gerade bei diesem Prozess ein lebenslanges Lernen von entscheidender Bedeutung. Entsprechend hoch ist der Stellenwert der Fort- und Weiterbildung. Denn gerade beim digitalen Wandel reicht eben die einmal erlangte Schulbildung oder das einmal erlangte Wissen während des Studiums in der Regel nicht mehr für ein ganzes Berufsleben aus. Um langfristig mit der technologischen Entwicklung in der Arbeitswelt Schritt halten zu können, muss man sich auch immer wieder fort- und weiterbilden.
Die Zahlen des bidt-SZ-Digitalbarometers zeigen zudem, dass in vielen Fällen neben dem allgemeinen Interesse, die Notwendigkeit sich für den Beruf weiterzubilden und der Wille mit den technischen Entwicklungen Schritt zu halten, Auslöser dafür sind, die eigenen digitalen Fähigkeiten zu verbessern. Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sind damit ein wichtiger Baustein, um die Beschäftigungsfähigkeit vieler Berufstätiger bei sich wandelnden Berufen und Anforderungsprofilen zu erhalten. Problematisch ist dabei, dass vor allem bei solchen Personen die Fort- und Weiterbildungsaktivitäten gering ausgeprägt sind, für die eine Kompetenzerweiterung eigentlich am wichtigsten wäre. So gaben in unserer Befragung 56 % der formal höher Gebildeten mit Fachhochschulreife oder höherem Abschluss an, dass sie ihre digitalen Fähigkeiten in den letzten 12 Monaten vor der Befragung verbessert haben. Bei den formal niedrig gebildeten mit keinem oder Haupt-/Volksschulabschluss waren es hingegen nur 29 %.
Anpassungsqualifizierungen können darüber hinaus natürlich auch einen wichtigen Beitrag bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels leisten. Wobei gerade hier auch vielen weiteren Stellschrauben wie der Schul- und Hochschulbildung, der beruflichen Ausbildung und der gezielten Zuwanderung von Fachkräften erhebliche Bedeutung zukommt. Dies gilt umso mehr, da wir uns durch das Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt ganz allgemein mit einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften konfrontiert sehen.
Defizite in der digitalen Infrastruktur, Probleme bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG): welchen Beitrag muss die Politik leisten, um die digitale Transformation auch in der Bevölkerung besser zu begleiten?
Die Politik muss vor allem die Rahmenbedingungen verbessern, um die digitale Transformation voranzutreiben. Neben dem angesprochenen Breitbandausbau vor allem auch in ländlichen Regionen oder dem Ausbau, der Verbesserung, der Vereinheitlichung und der Vereinfachung von E-Government-Angeboten zählen dazu eine Reihe von weiteren Maßnahmen.
Mit Blick auf die digitalen Kompetenzen der Bevölkerung müssen alle Akteure des Bildungssystems von Grundschulen über Sekundarschulen, berufsbildenden Schulen, Hochschulen bis hin zu Einrichtungen für die Fort- und Weiterbildung verstärkte Anstrengungen bei der Vermittlung von digitalen Kompetenzen unternehmen. Besonders im beruflichen Bereich müssen die Anreize zur Teilnahme an Weiterbildungsaktivitäten sowie entsprechende Beratungsangebote ausgeweitet werden. Die Maßnahmen sollten dabei besonders auf niedrig Qualifizierte ausgerichtet sein, die einerseits seltener Weiterbildung betreiben, gleichzeitig aber auch stark vom digitalen Wandel betroffen sind. In diesem Zusammenhang müssen vor allem Fördermöglichkeiten zur Finanzierung von Weiterbildungsangeboten übersichtlicher gestaltet, vereinheitlicht und weiterentwickelt werden. Daneben müssen auch die Probleme der deutschen Weiterbildungslandschaft angegangen werden, die sich bisher durch eine hohe Komplexität aufgrund einer hohen Anzahl an Anbietern sowie durch fehlende einheitliche Mindeststandards auszeichnet. So könnte die Einführung von Mindeststandards, z. B. durch eine Zertifizierung, zu einer nachhaltigen Professionalisierung des Fort- und Weiterbildungsmarkts beitragen.
Der wichtigste Schritt ist aber das Bewusstsein für die Notwendigkeit der individuellen Weiterentwicklung der digitalen Kompetenzen bei allen Menschen in Deutschland zu fördern. Dabei kommt nicht nur der Politik, sondern auch der Wirtschaft und gesellschaftlichen Organisationen eine wichtige Aufgabe zu. Denn wir sehen in unseren Daten klar, je höher die digitalen Kompetenzen von Menschen sind, desto positiver sind sie dem digitalen Wandel gegenüber eingestellt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Einen individuellen Selbsteinschätzungstest zu Ihren digitalen Fähigkeiten können Sie mit dem Digitalbarometer des bidt und der SZ durchführen.
Dieses Interview ist Teil von Mittelstand WISSEN zum Thema Digitale Skills von Mitarbeitern: Welche Kompetenzen wichtig sind