Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis vererbbar
Die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers können von dessen ehemaligem Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den von dem Arbeitnehmer nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verlangen.
Der Anspruch des verstorbenen Arbeitnehmers auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub kann nämlich im Wege der Erbfolge auf seine Erben übergehen.
Der verstorbene Ehemann von Frau Bauer war bei der Stadt Wuppertal (Deutschland) und der verstorbene Ehemann von Frau Broßonn bei Herrn Willmeroth beschäftigt. Da die Verstorbenen vor ihrem Tod nicht alle Urlaubstage genommen hatten, beantragten Frau Bauer und Frau Broßonn als deren alleinige Rechtsnachfolgerinnen von den ehemaligen Arbeitgebern ihrer Ehemänner eine finanzielle Vergütung für diese Urlaubstage. Die Stadt Wuppertal und Herr Willmeroth lehnten die Zahlung ab, worauf Frau Bauer und Frau Broßonn die deutschen Arbeitsgerichte anriefen.
Das mit diesen Rechtsstreitigkeiten befasste Bundesarbeitsgericht (Deutschland) ersucht den Gerichtshof, in diesem Kontext das Unionsrecht1 auszulegen, wonach jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält und dieser Anspruch außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf.
Das Bundesarbeitsgericht weist darauf hin, dass der Gerichtshof 2014 bereits entschieden hat, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nicht mit seinem Tod untergeht2.
Es sei jedoch fraglich, ob diese Rechtsprechung auch dann gelte, wenn eine solche finanzielle Vergütung nach dem nationalen Recht nicht Teil der Erbmasse werde, wie dies in Deutschland der Fall sei. Außerdem könne der mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfolgte Zweck, dem Arbeitnehmer Erholung zu ermöglichen und einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zur Verfügung zu stellen, nach dem Tod des Arbeitnehmers nicht mehr verwirklicht werden.
Mit seinem Urteil vom 06.11.2018 bestätigt der Gerichtshof, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nach dem Unionsrecht nicht mit seinem Tod untergeht. Außerdem können die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers eine finanzielle Vergütung für den von ihm nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verlangen.
Sofern das nationale Recht eine solche Möglichkeit ausschließt und sich daher als mit dem Unionsrecht unvereinbar erweist, können sich die Erben unmittelbar auf das Unionsrecht berufen, und zwar sowohl gegenüber einem öffentlichen als auch gegenüber einem privaten Arbeitgeber.
Der Gerichtshof erkennt an, dass der Tod des Arbeitnehmers unvermeidlich zur Folge hat, dass er die Entspannungs- und Erholungszeiten nicht mehr wahrnehmen kann, die mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der ihm zustand, verbunden sind. Der zeitliche Aspekt ist jedoch nur eine der beiden Komponenten des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub, das einen wesentlichen Grundsatz des Sozialrechts der Union darstellt und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich als Grundrecht verankert ist.
Dieses Grundrecht umfasst auch einen Anspruch auf Bezahlung im Urlaub und - als eng mit diesem Anspruch auf „bezahlten" Jahresurlaub verbundener Anspruch - den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub.
Diese finanzielle Komponente ist rein vermögensrechtlicher Natur und daher dazu bestimmt, in das Vermögen des Arbeitnehmers überzugehen, sodass der tatsächliche Zugriff auf diesen vermögensrechtlichen Bestandteil des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub dem Vermögen des Arbeitnehmers und in der Folge denjenigen, auf die es im Wege der Erbfolge übergehen soll, durch den Tod des Arbeitnehmers nicht rückwirkend entzogen werden kann.
Stellt sich heraus, dass eine nationale Regelung (wie die in Rede stehende deutsche Regelung) nicht im Einklang mit dem Unionsrecht ausgelegt werden kann, hat das mit einem Rechtsstreit zwischen dem Rechtsnachfolger eines verstorbenen Arbeitnehmers und dessen ehemaligem Arbeitgeber befasste nationale Gericht die nationale Regelung unangewendet zu lassen und dafür Sorge zu tragen, dass der Rechtsnachfolger von dem ehemaligen Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den von dem Arbeitnehmer gemäß dem Unionsrecht erworbenen und vor seinem Tod nicht mehr genommenen bezahlten Jahresurlaub erhält.
Diese Verpflichtung hat das nationale Gericht unabhängig davon, ob sich in dem Rechtsstreit der Rechtsnachfolger und ein staatlicher Arbeitgeber (wie die Stadt Wuppertal) oder der Rechtsnachfolger und ein privater Arbeitgeber3 (wie Herr Willmeroth) gegenüberstehen.
Fußnoten
1 Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) und Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
2 Urteil des Gerichtshofs vom 12. Juni 2014, Bollacke ( C-118/13 , vgl. auch Pressemitteilung Nr. 83/14 ).
3 Der Gerichtshof stellt fest, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen, wie z. B. einen privaten Arbeitgeber, begründen kann, sodass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist. In einem solchen Rechtsstreit ist jedoch hinsichtlich des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub eine Berufung auf die Charta möglich.
Quelle: EuGH, Pressemitteilung 06.11.2018