14.05.2019Studie

Europawahl 2019: DMB-Wahlprogrammanalyse

Wie mittelstandsfreundlich sind die Europawahlprogramme von CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und AfD?

Wenige Wochen vor der 9. Wahl zum Europäischen Parlament (23.-26. Mai 2019) hat die lautstarke Kritik an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier aus einigen Teilen des deutschen Mittelstands die wichtige Debatte um eine zukunftsfähige und mittelstandsfreundliche Europapolitik in den medialen Schatten gestellt: es dominieren seither fast ausschließlich bundespolitische Themen – hier insbesondere die Kritik an der Industriestrategie 2030. Das Timing der Debatte kommt zu einer Unzeit, denn dem deutschen Mittelstand steht eine Richtungswahl in Europa bevor. 

Insofern scheint es mehr als angemessen, die – im ohnehin kaum wahrnehmbaren Europawahlkampf der vergangenen Wochen – vernachlässigte Frage aufzustellen, mit welchen konkreten Inhalten die deutschen Parteien um die Stimmen von Unternehmerinnen und Unternehmern aus kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und aus den freien Berufen konkurrieren?

Um diese Frage zu beantworten, hat der DMB die Europawahlprogramme von CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und AfD systematisch auf ihre Mittelstandsfreundlichkeit hin untersucht. Die vorliegende Wahlprogrammanalyse ist dabei ein Baustein der umfassenden DMB-Aktivitäten rund um die Europawahl 2019.

Die wichtigsten Ergebnisse der Wahlprogrammanalyse in der Zusammenschau:

  • Der Mittelstand wird von allen Parteien in den Wahlprogrammen vernachlässigt. Es mangelt sowohl an der Formulierung konkreter Absichten und inhaltlicher Vorschläge, als auch an der tatsächlichen Ansprache von unternehmerischen Themen.  
  • In der DMB-Wahlprogrammanalyse erzielt die FDP das mittelstandsfreundlichste Ergebnis, gefolgt von den Unionsparteien und der SPD. Ein souveränes „Spitzentrio“ sind die genannten Parteien trotzdem nicht. Vielmehr kann die Programmatik der drei bzw. vier genannten Parteien am ehesten als „moderat mittelstandsfreundlich“ eingestuft werden.
  • Keine der analysierten Parteien stellt sich in ihrem Programm gegen KMU – dies ist das wohl einzige positive Ergebnis der Analyse. Trotzdem finden sich zahlreiche Positionen in den Programmen wieder, die sogar als deutlich „mittelstandsschädlich“ eingestuft werden müssen – so z.B. die AfD-Forderung nach einem deutschen Euro-Austritt (Wahlprogramm, S.29) oder die Forderung nach einer Verstaatlichung von europäischen „Schlüsselindustrien“ durch die Partei Die Linke (Wahlprogramm, S.26). Dementsprechend finden sich Linke und AfD auf den hinteren Plätzen wieder. Bündnis 90/Die Grünen – knapp hinter der SPD positioniert – punkten in einigen Bereichen (Nachhaltigkeit; Digitalpolitik), lassen aber trotz des insgesamt längsten Wahlprogramms aller Parteien einige mittelstandsrelevante Themenbereiche weitestgehend aus (Bürokratie, Fachkräfte).  
  • Ein parteipolitischer Einheitsbrei ist nicht zu erkennen: Die Analyse der Wahlprogramme offenbart sowohl Gemeinsamkeiten als auch deutliche Unterschiede in der Programmatik der Parteien. Die FDP setzt z.B. Akzente bei Themen wie Forschung und Freihandel. Die SPD legt besonders viel Augenmerk auf das Themengebiet Digitalisierung. Wenig überraschend widmet die AfD dem Thema der Subsidiarität – dem Vorrang nationaler gegenüber europäischer Zuständigkeiten – besonders viel Aufmerksamkeit. Die Grünen verwenden im Vergleich zu den anderen Parteien besonders viel Energie auf Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Die Linke fokussiert das Wahlprogramm auf Soziales und Arbeit.

Was macht ein Wahlprogramm mittelstandsfreundlich? 

Die Frage, was ein Wahlprogramm besonders mittelstandsfreundlich macht, lässt sich pauschal kaum beantworten und ist – zugegebenermaßen – eine subjektive Frage. Um einen möglichst vergleichbaren Rahmen zu schaffen, wurde bei der vorliegenden Analyse auf Erkenntnisse aus der politikwissenschaftlichen Parteien- und Wahlprogrammforschung zurückgegriffen. Für die Analyse wurden die Europawahlprogramme der derzeit sechs bzw. sieben (CSU und CDU haben ein gemeinsames Wahlprogramm verabschiedet) im Bundestag vertretenen Parteien herangezogen. Die Wahlprogramme wurden mit Hilfe quantitativer und qualitativer Analysemethoden anhand von 32 vom DMB vordefinierten „Issues“ untersucht. Issues sind politische Streitfragen, die eine klare Pro- und Contra-Positionierung der Parteien erkennen lassen – so zum Beispiel die Frage, ob Deutschland in der Währungsunion verbleiben sollte.

Vorab wurde definiert, ob eine Sachfrage aus Perspektive des Mittelstands positiv oder negativ zu bewerten ist. So würde ein Ausstieg aus dem Euro etwa deutlich negative Konsequenzen für KMU haben. Dementsprechend wurde Parteien, die einen Euroausstieg befürworten, ein negativer numerischer Wert (-1) zugewiesen. Positionieren die Parteien sich nicht zu einer Sachfrage in ihrem Programm, wird ein neutraler Wert (0) vergeben. Sprechen sich die Parteien für den Verbleib in der Gemeinschaftswährung aus, wird ein positiver Wert zugeordnet (1). Mit diesem Vorgehen lässt sich jeder Partei ein numerischer Wert zuordnen, der auf einer Skala von „gering“ (-1) bis hoch (1) die Mittelstandsfreundlichkeit der Parteien aufzeigt. Die einzelnen Sachfragen sind in den Themengebieten Mittelstandspolitik, Digitalisierungspolitik, Finanzen und Steuern, Demografischer Wandel, Nachfolge und Nachhaltigkeit, sowie Bürokratie, Arbeit und Soziales verortet (s. Anhang).

Diese Form der Analyse hat einige wichtige Einschränkungen, auf die kurz eingegangen werden sollte: Anders als bspw. der Wahl-O-Mat wird in der vorliegenden Analyse keine „Gewichtung“ auf einzelne Themen gelegt. Soll heißen: Für Wählerinnen und Wähler sind oft einzelne Themen von besonders großer Bedeutung. In der vorliegenden Analyse wurden alle Sachfragen gleich gewertet. Insofern kann das Ergebnis lediglich eine Tendenz über die Mittelstandsfreundlichkeit der Programme aufzeigen. Ferner kann es vorkommen, dass sich eine Partei in dem Wahlprogramm  nicht explizit zu einer Sachfrage äußert, obwohl sich die Partei z.B. in einem Interview konkret positioniert hat. Erhoben wurden hier allerdings nur die tatsächlich im Wahlprogramm ermittelbaren Positionen. Unternehmerinnen und Unternehmer sollten sich daher auch die mittelstandspolitischen Wahlprüfsteine des DMB und die Interviews mit den Spitzenkandidaten zur Europawahl anschauen, da hier explizit nach mittelstandspolitischen Politikinhalten gefragt wurde.    

Eine weitere Besonderheit der Analyse liegt in der Erhebung von (relativen) Worthäufigkeiten: Einige für den Mittelstand relevante Themen bieten einfach keine klare Pro- und Contra- Positionierung der Parteien. So würde sich keine der im Bundestag vertretenen Parteien gegen kleine und mittlere Unternehmen aussprechen. Umweltschutz ist ein weiteres Thema, das eigentlich – obwohl die AfD den menschgemachten Klimawandel in Frage stellt (AFD Wahlprogramm, S.79) – keine Gegenposition zulässt. In der Analyse wurde daher die Häufigkeit von 18 zentralen Begriffen für den Mittelstand ermittelt.  Grundgedanke ist die Annahme, dass nur durch einen hohen sprachlichen Anteil eines Themas am Gesamtprogramm die Kompetenz der Partei in einem bestimmten Bereich hervorgehoben werden kann.

Eine Partei, die besonders häufig den Begriff „Mittelstand“ oder „mittelständisch“ in ihrem Parteiprogramm verwendet, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Wählerinnen und Wähler ansprechen wollen, die selbst ein Unternehmen führen oder in einem KMU beschäftigt sind.  Allerdings unterscheiden sich die Wahlprogramme der Parteien in ihrem Umfang deutlich. Mit fast 50.000 Wörtern haben Bündnis 90/Die Grünen das umfangreichste Wahlprogramm zur Europawahl. Die Unionsparteien haben mit knapp 8.000 Wörtern im Vergleich das kürzeste Programm. Deshalb wurden die Begriffshäufigkeiten nicht in absoluten Zahlen ermittelt, sondern in Vergleich zur Gesamtwortanzahl des Wahlprogramms. Ein Beispiel: Der Begriff „Digital(isierung)“ wird im SPD-Wahlprogramm 48 Mal verwendet, bei den Grünen kommt der Begriff 91 Mal vor. Das Programm der SPD ist mit knapp 16.000 Wörtern allerdings deutlich kürzer als das Programm der Grünen. Die relative Worthäufigkeit im SPD-Programm liegt für Digitalisierung bei 0,0030 Prozent und ist damit fast doppelt so hoch wie bei Bündnis 90/Die Grünen mit 0,0018 Prozent.    

Ergebnisse: Wahlprogramme höchstens moderat mittelstandsfreundlich – keine Partei positioniert sich gegen den Mittelstand

Grundsätzlich und vorneweg kann festgehalten werden, dass die Parteien in ihren Wahlprogrammen kleine und mittlere Unternehmen stark vernachlässigen. In den Programmen von Union und SPD findet sich z.B. lediglich ein einziges Mal ein Verweis auf den „Mittelstand“ bzw. „mittelständische Unternehmen“. Auch „KMU“ bzw. „kleine und mittlere Unternehmen“ werden nur äußerst selten sprachlich berücksichtigt: ein einziges Mal bei den Unionsparteien, drei Mal bei der SPD insgesamt.

Die Partei mit der häufigsten Nennung dieser Begriffe ist die FDP. Auch – aber nicht nur – deswegen erhält das FDP-Wahlprogramm den insgesamt mittelstandsfreundlichsten Wert (0,63 von möglichen 1,0 Prozent) im Vergleich mit den anderen Parteien. Durchweg schneidet die FDP bei den analysierten Sachfragen gut ab, ohne jedoch wirklich mit konkreten, innovativen Vorschlägen zu überzeugen – dies war aber ohnehin kein Kriterium der vorliegenden Analyse. Auch bei Nennungshäufigkeit der Begriffe mit Mittelstandsrelevanz schneiden die Liberalen gut ab. Spitzenwerte erreicht das Programm bei Schlüsselthemen wie „KMU“, „Mittelstand“, „Forschung“, „Freihandel“ und „Bürokratieabbau“. 

   

Hinter der FDP stehen die Unionsparteien (0,51 Prozent) und die SPD (0,4). Die Volksparteien schneiden ebenfalls bei den Sachfragen gut ab, setzen aber so gut wie keine direkten Akzente für eine Mittelstandspolitik. Gerade bei der Nennungshäufigkeit fällt auf, dass kleine und mittlere Unternehmen nahezu keine Rolle in den Wahlprogrammen spielen. Das ist – gerade vor dem Hintergrund der hohen Relevanz von KMU für die europäische Wirtschaft – schlichtweg enttäuschend. Punkten können Union und SPD bei Themen wie der künstlichen Intelligenz (Union) und der Digitalisierung (SPD).

Die Grünen (0,28 Prozent) konzentrieren sich sehr stark auf Sachfragen aus den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Energie, vernachlässigen dabei aber andere relevante Themen wie Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel oder den Bürokratieabbau. Auch bei der Themennennung nehmen die Grünen lediglich beim Thema „Nachhaltigkeit“ einen Spitzenplatz ein. 

Die Wahlprogramme der AfD (0,13 Prozent) und der Linken (0,9 Prozent) liegen auf den hinteren Plätzen. Die Positionierung im neutralen Bereich wird allerdings nur durch die Besetzung zentraler Themen erreicht – etwa das Thema der „Subsidiarität“ bei der AfD, die aber mehr mit der deutlich EU-kritischen Haltung der AfD zu begründen ist. Die Partei fordert in ihrem Wahlprogramm den „DEXIT“, den „Austritt Deutschlands oder eine geordnete Auflösung der Europäischen Union“ (S.12).

Legt man lediglich die 32-Positionsthemen als Bewertungsmaßstab zu Grunde, ergibt sich ein leicht verändertes Bild. Auch hier liegt zwar das FDP-Programm vor Union, SPD und Grünen, Linke und AfD tauschen allerdings die Schlussplätze und rutschen beide leicht in den negativen Bereich. Positionen wie der Ausstieg aus dem Euro und aus den wesentlichen Abkommen zum Klimaschutz (AfD) oder eine Verstaatlichung europäischer Schlüsselindustrien (Linke) sprechen eine deutliche Sprache.

Fazit: Richtungswahl für den europäischen Mittelstand – Wahlprogramme mit sehr wenigen konkreten Aussagen für KMU

Europa steht aktuell vor großen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen: Für den deutschen Mittelstand und europäische KMU sind insbesondere ein vitaler Binnenmarkt und der Abbau von Handelshemmnissen mit Drittstaaten wichtig. Europäische Zukunftsstrategien für die Digitalisierung und die nachhaltige Unternehmensfinanzierung sind dabei ebenso elementar wie die Gestaltung des demographischen Wandels, Maßnahmen für die Fachkräftesicherung und den weiteren Abbau bürokratischer Belastungen.

Diese Herausforderungen werden ausschließlich in der Gemeinschaft der europäischen Staaten zu lösen sein.  Leider lassen sich die Parteien in ihren Europawahlprogrammen nur wenig bis gar nicht in die Karten schauen. Viele Absichtserklärungen bleiben – ganz unabhängig von den Ergebnissen dieser Analyse – unpräzise.

Der DMB hat deshalb die hier analysierten Parteien gesondert und explizit auf mittelstandspolitische Themen angesprochen. Für Wählerinnen und Wähler mit einem Interesse an mittelstandspolitischen Themen empfehlen wir daher, neben den oft wenig aussagekräftigen Wahlprogrammen, sich auch über entsprechende Wahlprüfsteine und Aussagen der Spitzenkandidaten zu informieren.   

 

Hinweis: Die Quellenangaben und Anhänge finden Sie in der PDF-Version dieses Beitrags.

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