Wettbewerbsfähigkeit: Ist Deutschland krank oder müde?
Die Wettbewerbsfähigkeit gilt als das Spiegelbild wirtschaftlicher Vitalität. In jüngster Zeit wird Deutschland, nach vielen wirtschaftlich sehr gesunden Jahren, erneut als der "kranke Mann Europas" bezeichnet. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat im Januar 2024 beim Weltwirtschaftsforum in Davos dieser These vehement widersprochen. Deutschland sei, so Lindner, eher “ein müder Mann nach einer kurzen Nacht”.
Ob krank oder müde: schon vor den ersten Rezessionssignalen haben Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Wirtschaftsverbände Probleme wie beispielsweise fiskalpolitische Kurzsichtigkeit und ausufernde Bürokratie zunehmend kritisiert. Ein Mangel an Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Bildung sowie eine starke Exportabhängigkeit sind weiterhin zentrale Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort. Hinzu kommen unter anderem eine schleppende Energiewende mitsamt weiterhin akuter Energiepreiskrise sowie der demographische Wandel und der mit ihm verbundene Fachkräftemangel. Dies sind belastende Faktoren – Hemmnisse – für die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstands und der deutschen Volkswirtschaft.
Die Notwendigkeit von strukturellen Reformen im Stile der Agenda 2010 ist offensichtlich, ein strategisches politisches Konzept oder Programm zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit jedoch derzeit nicht erkennbar. Dies wäre allerdings gerade jetzt dringend nötig: Es sind heute andere strukturelle Probleme und Herausforderungen als in den frühen 2000er Jahren, als Deutschland schon einmal als "kranker Mann Europas" galt. Damals konnten durch mutige und weitreichende Reformen, insbesondere in den Bereichen Arbeitsmarkt und Sozialsysteme, ein beeindruckender Turnaround erzielt werden. Von Stagnation zum Exportweltmeister, mit politischer Entschlossenheit und strategischer Weitsicht ist ein solcher Wandel durchaus möglich.
Das DMB-Fokusthema "Wettbewerbsfähigkeit im Mittelstand" greift aktuelle Herausforderungen und ihre Auswirkungen auf den Mittelstand auf und beleuchtet, wie Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken können und wo politisch gehandelt werden muss.
Warum sich Unternehmen mit „Wettbewerbsfähigkeit“ auseinandersetzen müssen
In einer dynamischen Weltwirtschaft ist der Begriff der Wettbewerbsfähigkeit zentral für das Verständnis und die Gestaltung von Erfolg. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter den Begriffen "Wettbewerb" und "Wettbewerbsfähigkeit"?
Wettbewerb, in seiner grundlegendsten Form, bezieht sich auf das Bestreben von Individuen oder Gruppen, Ressourcen, Kunden oder Anerkennung in einem Umfeld zu gewinnen, in dem andere Akteure dasselbe Ziel verfolgen. Dieser Prozess ist im Grunde der Motor für jedwede Innovation, Effizienz und für den Fortschritt.
Wettbewerbsfähigkeit hingegen ist die Fähigkeit eines Akteurs – sei es ein Unternehmen, eine Branche oder eben eine Volkswirtschaft – in diesem Wettbewerb nicht nur zu bestehen, sondern sich erfolgreich durchzusetzen. Sie umfasst eine Reihe von Faktoren: von der Qualität der Produkte oder Dienstleistungen über die Effizienz der Prozesse bis hin zur Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen und Innovationen hervorzubringen. Da die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft im übertragenen Sinne die Summe ihrer Teile ist – also die kumulierte Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen – setzen wir an der kleinstmöglichen Ebene, nämlich bei den Unternehmen selbst, an. Ziel der Serie ist es, Unternehmen aufzuzeigen, wie diese sich noch wettbewerbsfähiger aufstellen können.
DMB-Fokusthema 2024: Wettbewerbsfähigkeit im Mittelstand
Das Thema „Wettbewerbsfähigkeit“ ist vielschichtig. Daher behandeln wir Wettbewerbsfähigkeit als das DMB-Fokusthema im ersten Halbjahr 2024. Wir werden in verschiedenen jeweils ca. dreiwöchigen Themenserien den Begriff der „Wettbewerbsfähigkeit“ aus unterschiedlichen Perspektiven und Fragestellungen behandeln:
- Wie kann Digitalisierung und digitale Resilienz zu mehr Wettbewerbsfähigkeit beitragen?
- Wie gelingt für KMU der erste Schritt in ausländische Märkte und wie kann man sich dort erfolgreich dem Wettbewerb stellen?
- Wie wirkt sich die Energiewende auf die Wettbewerbsfähigkeit aus und wie können Unternehmen hier selbst tätig werden?
- Wie übergibt man ein möglichst wettbewerbsfähiges Unternehmen an Familienmitglieder oder Käufer?
- Welche Auswirkungen hat die Europawahl 2024 auf die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Mittelstands?
Diese und weitere Fragen werden wir in den kommenden sechs Monaten in den inhaltlichen Fokus nehmen. Für die kommenden drei Wochen werden wir uns mit einigen eher grundsätzlichen und einführenden Aspekten zum Thema Wettbewerbsfähigkeit befassen.
Dabei betrachten wir konkret:
- Wie globale Perspektive: Internationale Beispiele (darunter die der USA und des Vereinigten Königreichs nach dem Brexit) zeigen, wie Volkswirtschaften unterschiedliche Strategien verfolgen, um ihre Position im globalen Wettbewerb zu stärken.
- Der deutsche Mittelstand im Fokus: Wir analysieren, wie und wo der deutsche Mittelstand in diesem globalen Wettbewerb steht. Dabei hinterfragen wir, ob die aktuellen volkswirtschaftlichen Kennzahlen die wahre Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands widerspiegeln.
- Expertenmeinungen: Wir beleuchten gemeinsam mit Experten, wie digitale Transformation und Nachhaltigkeit als Schlüsselkomponenten zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen können.
- Praktische Strategien: Ein Leitfaden für KMU bietet konkrete Strategien und Praxistipps zur Verbesserung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit.
- Ausblick auf beeinflussende Faktoren: Wir schließen mit einem Ausblick auf das Jahr 2024, das durch wichtige politische Ereignisse wie z. B. in der EU und den USA geprägt sein wird, und reflektieren, wie diese den deutschen Mittelstand beeinflussen könnten.
Abschluss & Ausblick
Mit dem DMB-Fokusthema „Wettbewerbsfähigkeit“ erhalten Sie über die kommenden sechs Monate tiefgehende Einblicke und Praxistipps für die Herausforderungen und Chancen von kleinen und mittelständischen Unternehmen, sich wettbewerbsfähiger aufzustellen.
Aus unserer Sicht wird Wettbewerbsfähigkeit einer der wichtigsten Begriffe des Jahres sein. Warum? Weil sich im Verlauf dieses Jahres zeigen wird, ob und wie schnell Deutschland wieder in die wirtschaftliche Spur findet. In einer Zeit, in der geopolitische Verschiebungen, technologische Fortschritte und ökologische Herausforderungen die Spielregeln radikal verändern, müssen wir als deutscher Mittelstand zeigen, dass wir nicht nur schritthalten, sondern vieles besser als unsere Wettbewerber machen können.
Für die Fähigkeit, sich anzupassen und zu innovieren, ist der Mittelstand über viele Dekaden international bewundert und beneidet worden. Es gilt nun, diese Erfolgsgeschichte unter veränderten Bedingungen fortzuschreiben.
Die Serie wird aufzeigen, wie der Mittelstand durch Anpassungsfähigkeit, durch wichtige Themen wie die digitale Transformation und Nachhaltigkeit neue Wege beschreiten und somit weiterhin ein Vorbild für andere Wirtschaftsregionen sein kann.