"Wer Homeoffice nicht anbietet, braucht Alternativen"
Besserverdienenden ist das Angebot zur Arbeit von zu Hause aus wichtiger als Personen mit niedrigem Einkommen.
Das Homeoffice wird immer mehr zum Wettbewerbsfaktor im Kampf um Fachkräfte. Vor allem jüngere Arbeitnehmer erwarten von Unternehmen mehr Flexibilität hinsichtlich des Arbeitsorts. Das zeigt eine Studie des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt). Im Interview erklären die Studienautoren Dr. Roland Stürz und Antonia Schlude, welchen Preis das Homeoffice hat, wie auch Mittelständler profitieren können und warum ein Recht auf Heimarbeit keinen Sinn macht.
Welche Merkmale weisen Fachkräfte auf, für die das Thema Homeoffice bei der Arbeitgeberwahl wichtig ist?
Antonia Schlude:
Höher gebildete Personen, etwa mit Fach- oder mit Hochschulstudium, messen dem Homeoffice eine höhere Bedeutung bei. In dieser Gruppe geben 69 Prozent an, dass ihnen das Homeoffice eher oder sehr wichtig ist. Bei Menschen mit einem Haupt- oder Volksschulabschluss sind es hingegen nur 33 Prozent. Unterschiede gibt es auch beim Alter. Menschen unter 30 Jahren legen bei der Arbeitgeberwahl mehr Wert auf die Möglichkeit zur Heimarbeit als Personen über 50. Ein ähnliches Gefälle zeigen unsere Daten auch beim Monatsnettoeinkommen. Besserverdienenden ist das Angebot zur Arbeit von zu Hause aus wichtiger als Personen mit niedrigem Einkommen.
Letzteres dürfte vor allem daran liegen, dass weniger gut bezahlte Berufe eine Präsenz am Arbeitsplatz erfordern. Der Bäcker kann seine Brötchen schließlich nicht zu Hause backen und der Handwerker muss vor Ort bei seinen Kunden sein. Führt die Debatte ums Homeoffice an der Realität vieler Ausbildungsberufe vorbei?
Antonia Schlude:
Das kann man nicht pauschalisieren. Natürlich arbeitet jemand, der eine Ausbildung etwa im Gastronomiebereich absolviert, vorrangig vor Ort. Für Auszubildende, die einer Verwaltungstätigkeit nachgehen, ist das Homeoffice-Angebot jedoch schon deutlich relevanter. Man darf außerdem nicht vergessen, dass zum Beispiel in vielen Handwerksberufen auch administrative Tätigkeiten anfallen, die Mitarbeitende von zu Hause aus erledigen könnten.
Würden Arbeitnehmer auch auf einen Teil Ihres Gehalts verzichten, wenn Sie dafür im Gegenzug mehr Homeoffice machen dürften?
Roland Stürz:
Dazu gibt es Studien aus den USA. Dort hat man unter anderem bei Mitarbeitenden von Top-Konzernen wie etwa Microsoft, Google, Amazon und Facebook untersucht, ob Angestellte selbst dann lieber im Homeoffice arbeiten würden, wenn sie für ihre Präsenz im Büro 30.000 US-Dollar zusätzlich verdienen würden. Und tatsächlich haben sich knapp zwei Drittel zum Arbeiten von zu Hause entschieden und gegen mehr Gehalt.
Gibt es auch europäische Studien?
Roland Stürz:
Das Unternehmen LinkedIn hat eine vergleichbare Untersuchung in Europa gemacht, mit einer ähnlichen Summe, nämlich 25.000 Euro. In dieser Befragung haben sich knapp zwei Drittel für die Büropräsenz ausgesprochen und weniger als ein Drittel für das Homeoffice und damit gegen das Extra-Gehalt. In solchen Studien spielt aber sicher auch eine Rolle, dass die abgefragten Summen je nach Mitarbeiterin oder Mitarbeiter eine unterschiedliche Bedeutung haben. Für Arbeitnehmer bei den Top-Konzernen in den USA, die oft 150.000 Euro aufwärts verdienen, sind 25.000 Euro zusätzlich natürlich eine andere Hausnummer als für jemanden, der vielleicht 60.000 Euro verdient, wie ein normaler LinkedIn-Nutzer. Der Preis des Homeoffice hängt also immer von individuellen Faktoren ab.
Sind Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels gezwungen, ihre Mitarbeiter zurück ins Büro „zu kaufen“?
Roland Stürz:
Wer Homeoffice nicht anbieten will, der wird sich andere Dinge überlegen müssen und da kann das Gehalt ein Hebel sein. Eine Umfrage unter deutschen Unternehmenslenkern, durchgeführt von KPMG, hat ergeben, dass 77 Prozent darüber nachdenken, Anreize wie ein höheres Gehalt oder Beförderungen zu schaffen, damit Beschäftige perspektivisch wieder öfter im Büro arbeiten wollen.
Aus Ihrer Studie geht hervor, dass Arbeitnehmer ihre Karrierechancen nicht gemindert sehen, wenn sie häufig von zu Hause arbeiten. Sehen das die Arbeitgeber genauso?
Antonia Schlude
Tatsächlich gibt es hier unterschiedliche Auffassungen, wie nicht unsere aber andere Studien belegt haben. In der Wahrnehmung vieler Arbeitgeber geht die fehlende Sichtbarkeit durch das Homeoffice mit verminderten Karrierechancen einher. Hier spielt auch die Häufigkeit der Inanspruchnahme eine entscheidende Rolle. Es macht aus Arbeitgebersicht einen großen Unterschied, ob jemand ausschließlich im Homeoffice arbeitet oder beispielsweise nur an zwei Tagen in der Woche.
Können Sie die Vorbehalte der Arbeitgeber nachvollziehen?
Roland Stürz:
Nicht wirklich, denn wir wissen aus qualitativen Interviews, dass sich am Arbeitsverhalten der Beschäftigten oft gar nicht so viel verändert. Wenn also ein Mitarbeiter bereits im Büro wenig geleistet hat, dann macht er das auch im Homeoffice und jemand, der schon im Büro besonderes fleißig war, bleibt das unabhängig vom Arbeitsort. Wenn ein Arbeitgeber das in ähnlicher Weise wahrnimmt, glaube ich nicht, dass sich das Homeoffice negativ auf Karrierechancen auswirkt. Unsere Befragung unter Beschäftigten hat außerdem gezeigt, dass diese selten negative Auswirkungen auf ihre Karriere befürchten, wenn ihr Unternehmen positiv zum Homeoffice eingestellt ist. Wenn man allerdings in einem Unternehmen arbeitet, das nur notgedrungen Homeoffice anbietet, und man derjenige ist, der dieses Angebot überstrapaziert, muss man eventuell Karriereeinbußen hinnehmen.
Laut ihrer Studie hat das Homeoffice überwiegend Vorteile. Warum gibt es dennoch Unternehmen, die es nicht anbieten, obwohl sie es eigentlich könnten?
Roland Stürz:
Das hat viel mit dem Mindset zu tun. Ich gebe ihnen ein Beispiel aus unserer qualitativen Befragung, in der wir auch Mittelständler interviewt haben. Dort hat der Geschäftsführer einer Anlagenbau-Firma mit rund 3.000 Beschäftigten angegeben, dass es bei ihm nie Homeoffice gab und auch in Zukunft nicht geben wird – aus Prinzip. Gleichzeitig kann diese Firma aber offene IT-Stellen nicht besetzen, weil Bewerberinnen und Bewerber sofort abspringen, wenn sie erfahren, dass es kein Homeoffice gibt. Das klingt widersprüchlich und lässt sich weniger mit Logik als mit der persönlichen Einstellung des Geschäftsführers erklären.
Antonia Schlude:
In dem konkreten Fall des Anlagenbauers war es außerdem so, dass es noch einen jüngeren Co-Geschäftsführer gab, der dem Homeoffice offener gegenüberstand, sich aber offensichtlich mit dieser Sichtweise nicht durchsetzen konnte. Daran lässt sich aber ganz gut ablesen, dass jüngere Führungskräfte häufig eine positivere Sicht auf die Heimarbeit haben als ältere.
Ein weiterer Befund ihrer Studie zeigt: je positiver die Beschäftigten die Homeoffice-Einstellungen ihres Arbeitgebers einschätzen, desto stärker identifizieren sie sich mit ihm. Spannend ist, dass dieser Effekt auch dann auftritt, wenn die Mitarbeiter gar kein Homeoffice nutzen. Wie erklären Sie sich diesen Effekt?
Antonia Schlude:
In Unternehmen, die Homeoffice anbieten, herrscht meistens eine Vertrauenskultur. Das wirkt sich positiv auf die Flexibilität der Mitarbeitenden aus. Denn solchen Arbeitgebern ist es weniger wichtig, zu kontrollieren, ob die Arbeit zu bestimmten Zeiten erbracht wird. Unabhängig davon, ob ein Mitarbeiter das Homeoffice nutzt, weiß er, dass sein Arbeitgeber ihm vertraut und vorrangig seine Leistung beurteilt und nicht unbedingt, wann oder wo sie erfolgt. Das honorieren die Mitarbeitenden dann mit einer höheren Bindung an den Arbeitgeber.
Gibt es Praxistipps, die Sie KMU beim Thema Homeoffice an die Hand geben möchten?
Antonia Schlude:
Prinzipiell ist es wichtig, dass sich Mittelständler zunächst darüber Gedanken machen, was zu ihnen passt. Sprich: Kann man überhaupt Homeoffice anbieten und wenn ja, in welchem Umfang? Das ist immer individuell, da gibt es keine Faustformel. Gleichzeitig sollten sich Arbeitgeber bewusst machen, dass es gerade im Hinblick auf den Fachkräftemangel entscheidend ist, offen gegenüber neuen Arbeitsmodellen zu sein und sich dem nicht per se zu verschließen. Hier gilt es, in einen Aushandlungsprozess mit den Mitarbeitenden zu gehen und in den Dialog zu treten.
Roland Stürz:
Ein weiterer Aspekt ist die Schulung von Führungskräften. Denn hybride Arbeitsformen erfordern andere Kompetenzen der Führung als die klassischen Präsenzformate. Und ein letzter Punkt kommt noch hinzu, der auf den ersten Blick banal erscheinen mag, aber dennoch wichtig ist: Nämlich die Ausstattung im Homeoffice. Hier kann der Arbeitgeber dafür sorgen, dass Beschäftigte einen ergonomischen Arbeitsplatz haben und eben nicht – wie es am Anfang der Pandemie häufig der Fall war – mit ihrem Laptop am Küchentisch sitzen müssen. Das kann positive Effekte auf die Zufriedenheit und Leistung der Mitarbeitenden im Homeoffice haben.
Abschließend gefragt: halten Sie ein Recht auf Homeoffice für sinnvoll?
Roland Stürz:
Ein ganz klares Recht auf Homeoffice macht keinen Sinn. Damit würde man nur ein Bürokratiemonster schaffen. Wenn man jetzt sagt: jeder, der kann, darf ins Homeoffice, führt das zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand. Wer entscheidet dann etwa, was „können“ bedeutet? Deshalb sollte man hier nicht überregulieren und es besser dem Markt überlassen. Gerade mittelständische Unternehmen, die im Vergleich zu Großkonzernen oft weniger gut bezahlen können, merken zunehmend, dass sie sich in Zeiten des Fachkräftemangels dem Homeoffice öffnen müssen. Etwas sinnvoller könnte vielleicht ein Recht auf Prüfung eines Homeoffice-Antrags sein. In den Niederlanden gibt es das und es stärkt natürlich die Verhandlungsmacht der Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber, weil dieser einen Antrag auch bearbeiten muss. Aber auch hier sollte man die Entwicklung abwarten. Im momentanen Arbeitsmarkt sehe ich dafür aktuell auch keine große Notwendigkeit.
Dieser Beitrag ist Teil von Mittelstand WISSEN zum Thema "Wie wettbewerbsfähig ist der Mittelstand?".