12.07.2018Interview

Diermeier (IW Köln): "Viele kleine und mittlere Unternehmen dürften die neuen Hürden aus dem Markt drängen"

Kurzinterview mit Matthias Diermeier (IW Köln): Der Brexit und seine Folgen für Unternehmen.

Was sind die größten Gefahren eines harten Brexit für kleine und mittlere Unternehmen?

Diermeier: Kleine und mittlere Unternehmen haben häufig nicht die Möglichkeit, mit großer Manpower neue Reglementierungen in kürzester Zeit umzusetzen. Genau das wird jedoch im Falle eines ungeordneten „harten“ Brexit notwendig: Nicht nur würden für deutsche Unternehmen WTO-Zölle in der Höhe von durchschnittlich 4,2 Prozent fällig, auch würden nicht-tarifäre Handelshemmnissen mit einer umgerechneten weiteren Kostenbelastung in der Höhe von bis zu 14,7 Prozent entstehen.

Die Belastung durch nicht-tarifäre Handelshemmnisse wird insbesondere von kleineren Unternehmen häufig unterschätzt, insbesondere wenn keine Erfahrungen mit Handelspartnern außerhalb der EU vorliegen. Zollformulare, doppelte Registrierung oder Zertifizierung für Produkte, der Kontakt mit unterschiedlichen Aufsichts- und Regulierungsbehörden sowie Gesetzestexte in unterschiedlicher Sprache sind nur einige Beispiele von der Vielzahl an Barrieren, die das Vereinigte Königreich vom europäischen Binnenmarkt abschotten könnten. Viele kleine und mittlere Unternehmen dürften die neuen Hürden aus dem Markt drängen.

 

Wie können sich mittelständische Unternehmen derzeit effektiv auf den Brexit vorbereiten?

Diermeier: Die Querelen der britischen Politik machen eine Vorbereitung auf den Brexit ungemein schwierig. Auch zwei Jahre nach dem Referendum ist die inner-britische Verhandlung über eine etwaige Brexit-Strategie noch immer in vollem Gange. Ungeachtet dessen werden die Briten am 29. März 2019 die Europäische Union verlassen und (voraussichtlich) in eine knapp zwei Jahre andauernde Übergangsphase eintreten.

Auch wenn es derzeit danach aussieht, dass ein ungeordneter Austritt abgewendet werden kann, scheint in der britischen Politik jede Kehrtwende möglich. Für Unternehmen mit direkter oder indirekter Handelsaktivität auf der Insel bedeutet dies, sich auf alle Szenarien vorzubereiten – insbesondere auf den harten Brexit. Wie man weiterhin auf dem britischen Markt aktiv bleiben kann, dafür werden derzeit gerade für den Mittelstand sektorspezifische und szenarienspezifische Leitfäden entwickelt, die wichtige Fragen adressieren.

Verschiedene Großunternehmen haben zuletzt konsequent und öffentlichkeitswirksam verkündet aufgrund der Unwägbarkeiten ganze Produktionsstätten auf den Kontinent zu verlagern – weitere werden folgen. Bei der entsprechenden Neuordnung von Wertschöpfungsketten ergeben sich insbesondere für deutsche Zulieferer interessante Potentiale.


Welche Hürden müssen auf dem Weg zu einem geordneten Brexit genommen werden? Was sind die größten Konfliktpunkte für den weiteren Verlauf der Verhandlungen?

Diermeier: Die britische Regierungschefin hat sich zuletzt gegen die Hardliner in ihrer Partei durchgesetzt und der EU gegenüber eher auf Zugeständnisse als auf Konfrontation gesetzt. So will London beispielsweise für den Warenhandel produktrelevante Regulierung aus der EU übernehmen.

Über allem schwebt jedoch immer noch die Frage, ob der EuGH in Zukunft noch für Streitigkeiten zuständig ist, oder ob britische Richter nicht mehr an dessen Rechtsprechung gebunden sind. Die Premierministerin wandelt hier auf einem schmalen Grat, war doch der Souveränitätsgewinn in genau diesen Fragen eine Kernforderung der Brexiteers.

Ähnliches gilt für die grüne Grenze in Irland. Die EU kann den Briten kaum erlauben in ein Zoll-Arrangement einzutreten, bei dem die Briten für Europa Zölle erheben, um ihnen eine souveräne Handelspolitik mit Drittstaaten zu ermöglichen. Eine harte Grenze in Irland wird letztlich nur durch eine Zollunion zu vermeiden sein, die der EU garantiert, dass keine freigehandelten Waren aus beispielsweise den USA oder China über die Hintertür auf den Binnenmarkt gelangen. Mit Blick auf die Handelspolitik werden die Briten damit zum Zuschauer der EU, die Freihandelsabkommen aushandelt, die dann im Vereinigten Königreich anerkannt werden müssen. Schwer zu schlucken für den radikalen Flügel der Tory Partei.

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