„Arbeitsschutz bietet erstaunliches Potenzial“
Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement – Die Übergänge sind fließend. Doch wie grenzen sich die Bereiche trotzdem voneinander ab, was ist Pflicht und welchen Einfluss spielen Digitalisierung und Pandemie? Die Antworten hat BGM-Experte Christian Kuckartz.
Hallo Herr Kuckartz, Sie sind Gründer und Geschäftsführer der BGM Solutions. Stellen Sie sich und Ihr Unternehmen gerne kurz vor!
Hallo auch meinerseits! Ich setze mich für wirksame Lösungen zur Sicherheit und Gesundheit in mittelständischen Unternehmen ein. Dabei versuche ich meine Erlebnisse und Erfahrungen einzubringen, die ich als junge Fachkraft in den vergangenen sechs Jahren in diesem Bereich gemacht habe. Einige mögen sich vielleicht wundern, wie man sich für Arbeitsschutz und Prävention begeistern kann. Aber das Thema bietet erstaunliche Potenziale und ist sehr abwechslungsreich. BGM-Solutions setzt genau daran an und bietet digitale Tools, die Unternehmen in dem Thema „Sicherheit und Gesundheit“ unterstützen. Dadurch wird das ungeliebte Thema nicht nur einfacher, sondern auch wirksamer und rechtssicher.
Wir möchten heute sowohl über Arbeitsschutz als auch über Gesundheitsmanagement am Arbeitsplatz sprechen. Wie werden die beiden Bereiche definiert und wodurch unterscheiden sie sich?
Zum Arbeitsschutz zählt vor allem die Arbeitssicherheit und die Arbeitsmedizin. Zur Arbeitssicherheit gehören z.B. Unterweisungen, Gefährdungsbeurteilung und Sicherheitstechnik, zur Arbeitsmedizin zählen Eignungsuntersuchungen und Vorsorgen hinsichtlich des Arbeitsplatzes. Zum Gesundheitsmanagement gehört die betriebliche Eingliederung nach Krankheit und die Gesundheitsförderung. Die Eingliederung ist Pflicht des Arbeitgebers bei mehr als 30 Fehltagen (Krankentagen) oder 42 Kalendertagen innerhalb der vergangenen zwölf Monate. Allerdings sind die Übergänge zwischen Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement fließend: Das eine funktioniert ohne das andere nicht. Und genau darin liegt die Herausforderung.
Wieso empfehlen Sie kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement im Unternehmen zu etablieren?
Erstens weil es gesetzliche Pflichten dazu gibt, die bei Nichteinhaltung unangenehme und betriebsgefährdende Konsequenzen nach sich ziehen können. Zweitens, weil es in Zeiten von Fachkräftemangel und immer älterer Belegschaft auch keine andere Wahl mehr gibt. Niemand möchte durch seine Arbeit krank werden oder sich dort Schaden zufügen, da täuscht auch ein attraktives Gehalt nicht drüber weg. Gute Arbeitsbedingungen sind nicht nur wichtig für Ihre Beschäftigten, sondern auch Grundlage für deren Leistungsfähigkeit und damit für den Unternehmenserfolg.
Umgekehrt: Was sind Gefahren für Unternehmen, die wenig Wert auf Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement legen?
Tatsächlich kann ich von Mahnungen und Strafzahlungen der Berufsgenossenschaft oder von Arbeitsunfällen in Unternehmen berichten. Das sollte allerdings nicht als Motivation für Unternehmen dienen, Arbeitsschutz zu betreiben. Spannender und erschreckender sind Unternehmen, deren Unternehmensgesundheit so in Schieflage ist, dass sich über 15% der Belegschaft im Anlass einer Eingliederung bewegen. 15 % mit sechs Wochen Krankheit oder länger. Rechnen Sie das mal hoch, wie sehr das solche Unternehmen belastet. Dazu kommt, dass die Arbeitgeberattraktivität in solchen Fällen auch sehr angekratzt sein dürfte.
Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement: Was muss ich beachten?
Wie sind die gesetzlichen Vorschriften? Konkret: Was ist Pflicht und was ist freiwillig?
Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin sowie das Betriebliche Eingliederungsmanagement sind Pflicht. Der Umfang dabei ist natürlich unterschiedlich je nach Branche und Unternehmensgröße. Grundsätzlich ist es die Pflicht eines jeden Arbeitgebers, die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sicherzustellen und der Entstehung von berufsbedingten Erkrankungen vorzubeugen. Dies muss vor allem auch nachweisbar sein und daher dokumentiert sein. Freiwillig ist mehr oder weniger die Gesundheitsförderung, hier gibt es aber Empfehlungen an die Unternehmen, sich einzusetzen.
Gehen wir einmal näher auf das Thema Arbeitsschutz ein. Was genau fällt darunter und wie setze ich es bestmöglich in meinem Unternehmen um?
Ich habe eben bereits grob umrissen, was zur Sicherheitstechnik und dem personenbezogenen Arbeits- und Gesundheitsschutz zählt. Dazu können z.B. auch Grippeschutzimpfungen oder die Reisemedizin gehören, je nach Anforderung und Bedarf im Unternehmen.
Die bestmögliche Umsetzung kann intern im Unternehmen erfolgen, mit eigenen Fachkräften oder auch durch externe Betreuung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit und eines Betriebsarztes. Im KMU Bereich findet oft das „alternative Modell“ statt, bei dem der Chef persönlich von der BG geschult wird und sich um die Umsetzung kümmert.
Kommen wir nun zum Thema Gesundheitsmanagement. Auch hier die Frage: Was muss ich als Arbeitgeber beachten und welche Maßnahmen bieten sich an?
Wieder eine komplexe Frage. Ich picke mir daher meinen persönlich gesehen wichtigsten Aspekt heraus: Bedarfsgerecht. Maßnahmen zur Gesundheit im Unternehmen müssen zum Bedarf passen.
Wenn ich als Unternehmen Zeit und Geld aufwende, dann soll es ja auch etwas bringen. Wo hakt es also und was hilft den Beschäftigten weiter? Ist eine digitale Trainings-App hilfreich oder liegt es doch eher an mangelnder oder negativer Kommunikation im Unternehmen? Als Maßnahmen bietet sich also vor allem an, die Gefährdungsbeurteilung aus dem Arbeitsschutz zu nutzen. Diese sollte bereits aufzeigen, welche Belastungsschwerpunkte bestehen. Ist dem nicht so, empfehle ich eine weitere Analyse, z.B. durch eine Mitarbeiterbefragung. Dies ist schon die erste Maßnahme! Sie signalisieren den Beschäftigten: DU bist uns wichtig, uns interessiert DEINE Meinung und DEIN Empfinden. Natürlich in anonymisierter Befragung. Besteht bereits ein hoher Krankenstand, neigen Unternehmen zudem dazu, präventive Maßnahmen einzuleiten, durch Sportangebote etc. Das ist gut, dabei werden die Erkrankten aber oft vergessen. Diese müssen bestmöglich und leistungsstark zurückgeführt werden.
Digitale Lösungen: Klarer Leistungsvorteil für Unternehmen
Sie haben sich auf digitale Lösungen spezialisiert. Welche Rolle spielt die Digitalisierung beim Arbeits- und Gesundheitsschutz und welchen Stellenwert hat sie bei KMU?
Gerade im Mittelstand wird der Aufwand an Dokumentation im Arbeitsschutz verflucht. Dazu sind die Themen, wie auch dieses Interview zeigt, sehr komplex. Und all das ist wichtig, aber eben Nebengeschehen. Die eigentliche Arbeit des Unternehmens hat Vorrang, der Kunde und die Aufträge stehen im Vordergrund. Deshalb helfen digitale Lösungen den Unternehmern und Fachkräften. Fälligkeiten werden automatisch gemeldet, nötige Dokumente werden sofort gefunden und alle Beteiligten können nach Bedarf darauf zugreifen – auch aus dem Homeoffice. Zu viele Unternehmen haben immer noch einen Arbeitsschutz-Ordner im Schrank stehen oder einen digitalen Ordner mit hundert Dokumenten auf einem lokalen Computer. Bei den heutigen Anforderungen, erst recht durch die Pandemie, sehe ich das als klaren Leistungsnachteil für das Unternehmen.
Welche digitalen Maßnahmen empfehlen Sie KMU?
Automatische Fälligkeiten und eine digitale Übersicht in Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement. Das spart Zeit und verhilft zu Rechtssicherheit! Im Arbeitsalltag geht sonst schnell eine notwendige Maßnahme unter. Deshalb sollten Prüffristen von Geräten oder Maschinen ebenso digital hinterlegt sein wie personenbezogene Maßnahmen in der Arbeitsmedizin oder Prävention. Der Vorteil dabei: Nach einiger Zeit erkenne ich als Unternehmen, welche Prozesse funktionieren, aber auch, woran es hakt oder welche Angebote an die Mitarbeiter*innen weniger gut angenommen werden. Digitalisieren Sie zudem nicht von 0 auf 100, das funktioniert sowieso nicht. Digitale Tools sind ja nur dann hilfreich, wenn Sie auch genutzt und mit Leben gefüllt werden. Also lieber einen Schwerpunkt wählen und dann stufenweise darauf aufbauen.
Wie kann ich auch als kleines Unternehmen ohne viel Budget von digitalen Lösungen profitieren?
Wenn ich den Mehrwert gegenrechnen kann, sozusagen ein Return-On-Invest. Ich nehme als Beispiel eine Lösung von BGM-Solutions: Wenn mich als kleines Unternehmen die digitale Lösung 95 Euro im Monat kostet, ich dadurch aber vier Stunden Arbeitszeit pro Monat einspare, dann ist die Anwendung deutlich finanziell rentabel. Denn diese vier Stunden kann ich wiederum produktiv nutzen. Dazu kommt der Mehrwert, den das Tool meinem Betrieb darüber hinaus an weichen Faktoren bietet, beispielsweise die höhere Rechtssicherheit oder auch eine verbesserte Einbindung von Führungskräften und Mitarbeitern in den Gesundheitsschutz.
Sie bieten mit Protarmo eine digitale Plattform für BGM und Arbeitsschutz an. Was ist Protarmo und welche Vorteile bietet die Plattform?
Protarmo ist insofern besonders, dass es die angesprochenen Themen alle verbindet und eine gesammelte Steuerung möglich macht: also Arbeitsschutz, Eingliederung und die Gesundheitsförderung. Das ist vor allem für den Mittelstand hilfreich, anstatt zu jedem Thema eine Einzellösung einsetzen zu müssen oder digitale Lücken zu haben.
Mit Protarmo bieten wir dem Unternehmen eine webbasierte Anwendung, die Prozesse zur Sicherheit automatisiert und die Planung zur Unternehmensgesundheit erleichtert. Gerade im Mittelstand haben viele Unternehmen externe Beteiligte: Zum Beispiel die Fachkraft für Arbeitssicherheit, den Betriebsarzt oder Gesundheitstrainer. Diese können per Rollenkonzept eingebunden werden, womit eine effiziente Zusammenarbeit und ortsunabhängige Dokumentation möglich wird.
„Warten Sie nicht ab, bis alles wieder „normaler“ wird!“
Durch die Corona-Pandemie wurde nicht nur die Digitalisierung beschleunigt, auch arbeiten viele Beschäftigte mittlerweile seit gut einem Jahr im Home-Office. Welchen Einfluss hat die Pandemie also auf Arbeits- und Gesundheitsschutz und was müssen Arbeitgeber beachten?
Ich denke dazu wird bereits viel geschrieben und medial diskutiert. Ganz klar ist für uns, dass die Arbeit durch mehr Homeoffice zwangsläufig dezentraler wird. Der Arbeitsschutz-Ordner im Schrank wird noch mehr zum Problem oder eher zum Staubfänger. Die benötigten Prozesse und Informationen im Arbeits- und Gesundheitsschutz müssen flexibel, aber datensicher abrufbar sein. Mängel oder ausstehende Aktionen müssen eingetragen werden können und für die beteiligten Kollegen*innen sichtbar sein.
Das greift schon den nächsten wichtigen Punkt auf: die Kommunikation. Der Flurfunk entfällt, digitale Meetings werden kürzer und effizienter geführt. Das ist produktiv, aber es fallen auch viele soziale und persönliche Komponenten weg. Man gewöhnt sich an die neue Situation und verlernt dabei wortwörtlich auch Dinge.
Haben Sie zum Abschluss noch ein paar allgemeingültige Tipps für KMU, deren Beschäftigte im Home-Office sind?
Warten Sie vor allem nicht ab, bis alles wieder „normaler“ wird! Vor einem Jahr hätten wir wohl kaum gedacht, dass die Pandemie jetzt noch unseren Alltag bestimmt. Bleiben Sie motiviert und aktiv, eben auch was die Gesundheit der Beschäftigten angeht. Schieben Sie Unterweisungen oder Gesundheitsangebote nicht auf, sondern nutzen Sie zumindest vorübergehend digitale Lösungen und veranstalten Sie Einzelaktionen wie Workshops oder Trainings.
Um auf mein Beispiel von eben zurückzukommen: Machen Sie eine Mitarbeiterbefragung, bleiben Sie im Austausch mit Ihrem Team! Jetzt, wo so vieles im Leben weg fällt, sollte zeitlich gesehen doch erst recht die Zeit dazu vorhanden sein.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kuckartz!
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