14.09.2023Interview

„KI-gestützte Fehlerdiagnose wird die Kfz-Branche prägen“

 

Immer mehr vernetzte Kfz mit sensiblen Fahrassistenzsystemen, ein wachsender E-Mobilitätsmarkt und steigendes Qualifikationsniveau fordern von Werkstätten digitalisierte, datengetriebene und effiziente Prozesse und Services. Um mit der Komplexität der Automotive-Branche sowie den Herausforderungen von Nachhaltigkeit und Fachkräftemangel Schritt halten zu können, müssen gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Antworten auf den Strukturwandel finden. Welche Lösungen das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte Projekt Autowerkstatt 4.0 bietet und wie es die Wettbewerbsfähigkeit von KMU stärkt, erklärt Projektleiter und Referent für Digitale Geschäftsmodelle beim eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. Hauke Timmermann.

Mit welcher Zielsetzung ist Autowerkstatt 4.0 Anfang 2022 an den Start gegangen?

Timmermann: Unser Konsortium aus Partnerunternehmen und Forschungsinstituten ist beim Förderwettbewerb „Innovative und praxisnahe Anwendungen und Datenräume im digitalen Ökosystem Gaia-X“ angetreten, um als Anwendungsfall die Gaia-X-Technologie greifbar zu machen und konkrete Geschäftsprozesse und -modelle zu ermöglichen. Wir entwickeln eine Plattform für den vertrauenswürdigen Datenaustausch von branchenspezifischen KI-Modellen und Fahrzeugdaten.

Ziel ist es, die Digitalisierung gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) in der Automobilbranche voranzutreiben. Werkstätten, Diagnosesystemanbieter, KI-Start-ups und IT-Dienstleister werden dabei zu einem Innovations- und Wertschöpfungsnetzwerk verknüpft. Das Projekt AW 4.0 hilft dem Mittelstand, sich an die Anforderungen des digitalen Zeitalters und an die Entwicklung der Automobilbranche hin zu mehr Elektrifizierung anzupassen. Dabei haben wir uns darauf fokussiert, die differenzierte und auf maschinellem Lernen basierende Fehlerdiagnose bei Fahrzeugen zu erforschen. Durch die Unterstützung von Kfz-Oszilloskopen – das sind Spannungsmesser – und KI-gestützten Verfahren soll die zielgerichtete Fehlersuche vereinfacht und präzisiert werden.

 

Was ist neuartig am Ansatz des Förderprojekts?

Bisher erfolgte die Datenerhebung bei der Fehlerdiagnose meist über herstellereigene Diagnosesysteme mittels der On-Board-Diagnose-Schnittstelle (OBD). Der Nachteil dieser Methode ist, dass sie nur im Steuergerät hinterlegte Fehlercodes, sogenannte Diagnostic Trouble Codes (DTC), anzeigt. Das führt häufig dazu, dass lediglich vom System empfohlene Teile ausgetauscht, nicht aber die wirkliche Ursache eines Fehlers herausgefunden wird. Teile werden folglich auf Verdacht gewechselt, personelle und technische Ressourcen für Reparaturen unnötig verschwendet. Für Kunden ist es ärgerlich, zusätzliche Zeit in Kauf nehmen zu müssen, um ihr Fahrzeug erneut checken zu lassen.

AW 4.0 setzt daher auf Nachhaltigkeit bei Ersatzteilen, zufriedenere Kunden und Effizienz bei Wartung und Service. Mit der neuen Messmethode werden Daten im Motorraum erfasst, um historische Daten anderer Werkstätten – in Zukunft vielleicht auch der Hersteller – sowie KI-Modelle ergänzt und so eine differenziertere Diagnose möglich. Das datenbasierte Diagnosesystem soll auch für ältere Fahrzeuge bereitstehen und einfach in den Arbeitsalltag von Kfz-Werkstätten zu integrieren sein. Der Zugang zu einer deutschlandweiten Datenplattform, auf der branchenspezifische Daten und KI-Modelle vertrauenswürdig ausgetauscht werden, ermöglicht freien Werkstätten einen faireren Wettbewerb gegenüber der markengebundenen Konkurrenz. Auch können Werkstattinhaber ihr Leistungsangebot um die KI-gestützte Diagnose erweitern.

 

Welche Vorteile versprechen Sie sich für andere Akteure im Automotive-Umfeld?

Eine durch KI unterstützte Fehlerdiagnose verbessert nicht nur die Service-Landschaft bei Fahrzeugen. Eingebettet in ein sicheres, offenes und föderiertes Datenökosystem wie Gaia-X wird sie auch den Umgang mit Daten beeinflussen und KMU digitale Geschäftsmodelle aufzeigen. Wie uns Werkstattbesitzer, Diagnosehersteller, Zulieferer und Unternehmen aus dem KI-Umfeld widerspiegeln, hat AW 4.0 enormes Potenzial, Lösungen für die großen Herausforderungen der Digitalisierung, des Fachkräftemangels und der Elektromobilität auf den Weg zu bringen.

Die KI-gestützte Fehlerdiagnose wird die Kfz-Branche und deren Wertschöpfung prägen. Lieferketten und Prozesse des Werkstattalltags verändern sich, Ressourcen können im Sinne der Nachhaltigkeit sinnvoller eingesetzt werden – ein mögliches Stichwort ist hier das seit Jahresbeginn 2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Betroffen sind auch der gesamte Aftermarket sowie die Hersteller. Ihnen bieten sich Chancen, bei Forschung und Entwicklung große Investitionen einzusparen.

 

Wie wollen Sie Werkstattmitarbeitende für die KI-gestützte Fehlerdiagnose qualifizieren?

Vom 25. September bis 21. Oktober 2023 gehen wir deutschlandweit in die Werkstätten, um Messungen durchzuführen und eine umfangreiche, verlässliche Datenbasis zu schaffen, die es uns ermöglicht, ein neurales Netz zu trainieren. Ein AW 4.0-Team wird für die Werkstattmitarbeitenden vor Ort einen halbtägigen Workshop durchführen und in das neue Mess-Equipment einführen. Wir bringen ihnen den souveränen Umgang mit Hard- und Software bei Messungen zur Batteriespannung bei, schulen am eigens entwickelten und kostengünstigen Oszilloskop und stellen unsere Lernplattform vor. Wurden Daten zu Kompressionen und Kraftstoffsystemen gesammelt, hochgeladen und anschließend mit einem KI-Modell analysiert, erhält der Teilnehmende ein renommiertes Zertifikat der Technischen Hochschule Bochum.

Als begleitende und weiterführende Maßnahmen zur Weiterbildung planen wir die Einrichtung eines Forums, in dem Erfahrungen und Tipps ausgetauscht werden können. Darüber hinaus sind eine wöchentliche Telefon- bzw. Zoom-Sprechstunde angedacht. Ein E-Mail-Support soll Fragen zur Nutzung der Mess-Hardware beantworten, auftretende Probleme lösen – und wichtige Erkenntnisse für den weiteren Projektverlauf bringen. Interessierte können gerne mehr über die Autowerkstatt 4.0-Website oder -Academy erfahren.

 

Das Gespräch führte Ralf Schädel, IT-Redakteur und Projektmanager Cloud Services und Gaia-X bei eco – Verband der Internetwirtschaft e.V.

 

Dieser Beitrag ist Teil von Mittelstand WISSEN zum Thema "Arbeitswelt von morgen".

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