05.02.2024Interview

„KMU bewegen sich tendenziell schon in die richtige Richtung“

Nachhaltigkeit ist ein zentrales Zukunftsthema für kleine und mittlere Unternehmen (KMU).

Wie nachhaltig wirtschaften kleine und mittlere Unternehmen (KMU) heute? Dieser Frage sind Forscher der Technischen Universität München nachgegangen und haben dazu über 1.000 KMU befragt. Demnach haben in der jüngeren Vergangenheit fast Zweidrittel der Unternehmen neue Produkte und Dienstleistungen mit positiver Umweltwirkung eingeführt. Die Autorinnen der Studie, Prof. Miriam Bird und Sidney Hribersek, sprechen in diesem Interview unter anderem darüber, warum Familienunternehmen häufiger Umweltinvestitionen einführen und was andere Unternehmen bislang noch davon abhält. 

Frau Prof. Bird, Frau Hribersek, was sind die zentralen Ergebnisse Ihrer KMU-Befragung?

Sidney Hribersek: Unsere Haupterkenntnis ist, dass Nachhaltigkeit und Umweltinnovationen bereits heute eine bedeutende Rolle in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) spielen. Das leiten wir daraus ab, dass 63 Prozent der Befragten KMU im Zeitraum von 2019 bis 2021 Produkte und Dienstleistungen mit einer positiven Umweltwirkung im eigenen Unternehmen eingeführt haben. Zusätzlich haben 46 Prozent der KMU Umweltinnovationen auf Kundenseite umgesetzt. Insgesamt machen Umweltinnovationen etwa 20 Prozent des Gesamtumsatzes der KMU aus. Diese Zahlen unterstreichen die herausragende Bedeutung der ökologischen Nachhaltigkeit für KMU in Deutschland.

Prof. Miriam Bird: Der deutsche Mittelstand setzt zurzeit größtenteils auf inkrementelle Innovationen von Produkten oder Dienstleistungen in bestehenden Märkten. Radikale Innovationen, die einen neuen Markt schaffen, werden bislang nur von einer Minderheit der KMU in unserer Stichprobe umgesetzt. Aus unseren Studienergebnissen geht hervor, dass die Motivation der KMU aktuell vor allem darin liegt, den Energieverbrauch zu senken und klimaschädliche CO2-Emissionen auf Unternehmens- sowie auf Kundenseite zu reduzieren.

Sind die Ergebnisse Ihrer Erhebung repräsentativ für den Mittelstand in Deutschland?

Prof. Miriam Bird: Um Repräsentativität zu schaffen, haben wir ein besonderes Augenmerk daraufgelegt, alle Industrien sowie unterschiedliche Unternehmensgrößen und die regionale Herkunft in unserer Studie zu berücksichtigen. 40.000 Unternehmen wurden vom Ifo Institut für Marktforschung im Auftrag unseres Global Centers for Family Enterprise der TUM angeschrieben. Anhand der Unternehmen, die an unserer Umfrage teilgenommen haben, haben wir die Charakteristiken für die KMU unserer Studie gebildet. Das durchschnittliche Alter der Unternehmen lag bei 35 Jahren. 68 Prozent der kontaktierten KMU bezeichnen sich als Familienunternehmen. 17 Prozent der befragten Geschäftsführer waren weiblich. Diese Merkmale ähneln stark denen im bisherigen Forschungsstand durchgeführten Studien.

Sidney Hribersek: Zusätzlich haben wir unsere Stichprobe mit den durchschnittlichen Charakteristiken von KMU auf Grundlage der Daten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) verglichen. Dabei konnten wir zeigen, dass sich die Stichproben in den für unsere Studie relevanten Parametern ähneln. Die einzigen Abweichungen im Vergleich zu den durchschnittlichen KMU-Charakteristiken ergaben sich beim Alter und der Mitarbeiteranzahl der Unternehmen. Die Unternehmen in unserer Stichprobe sind im Durchschnitt etwas älter und beschäftigen eine leicht höhere Anzahl an Mitarbeiter:innen im Vergleich zum durchschnittlichen kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland. Insbesondere bei der Verwendung von Medianwerten, die gegenüber Ausreißerwerten (d.h., extreme Werte) resistent sind, ergeben sich nur geringfügige Unterschiede, die die Repräsentativität unserer Ergebnisse nicht negativ beeinflussen.

Welche Merkmale weisen KMU auf, die auf Umweltinnovationen setzen?

Sidney Hribersek: Wir konnten in unserer Studie zwei Unternehmenscharakteristiken ausfindig machen, die einen Einfluss darauf haben, ob KMU vermehrt auf Umweltinnovationen setzen oder nicht. Zum einen gibt es den geschlechtsbezogenen Einfluss. Dazu haben wir uns die geschlechtliche Diversität auf Ebene der Geschäftsleitungsteams angeschaut und zwischen homogenen Teams, das sind Teams, die ausschließlich aus Frauen oder ausschließlich aus Männern bestehen, und heterogenen Teams, mit sowohl Frauen als auch Männern in der Geschäftsleitung, unterschieden. In diesem Bezug verdeutlichen unsere Studienergebnisse, dass heterogene Führungsteams deutlich häufiger Umweltinvestitionen einführen als homogene Führungsteams. In 68 Prozent der KMU mit einer heterogenen Geschäftsleitung wurden Umweltinvestitionen eingeführt, während dieser Wert bei homogenen Führungsteams nur bei 62 Prozent lag. Die geschlechtliche Diversität hat somit einen positiv verstärkenden Einfluss auf die Umsetzung von nachhaltigen Innovationen in KMU.

Zum anderen haben wir herausgefunden, das Familienunternehmen häufiger Umweltinvestitionen einführen als Unternehmen, die sich nicht in Familienhand befinden. 66 Prozent der Familienunternehmen führten im Zeitraum von 2019 – 2021 Umweltinnovationen ein, während es bei Nicht-Familienunternehmen lediglich 51 Prozent waren. Somit konnten wir feststellen, dass die Geschlechterdiversität in den Geschäftsleitungsteams und der Familienanteil am Unternehmen in unserer Studie einen positiv, verstärkenden Effekt auf die Einführung von Umweltinnovationen in KMU aufzeigten.

Was sind Ursachen für die Unterschiede zwischen Familienunternehmen und nicht familiengeführten Unternehmen?

Prof. Miriam Bird: Familienunternehmen messen nicht-monetären Zielen oft eine größere Bedeutung bei als Unternehmen, die sich nicht in Familienhand befinden. Betriebe in Familienbesitz zeichnen sich häufig durch eine langfristige Perspektive aus, die über Generationen hinweg reicht, und legen weniger Wert auf kurzfristige Finanzerfolge. Nachhaltigkeit spielt in diesem Kontext eine entscheidende Rolle, da sie dazu beiträgt, dass das (Familien-)Unternehmen in der eigenen Region als angesehener Arbeitgeber wahrgenommen wird und eine langfristige Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet wird.

Was hält Unternehmen denn bisher davon ab, Umweltinnovationen einzuführen?

Prof. Miriam Bird: KMU sind bei der Einführung von Innovationen oft etwas langsamer als große Unternehmen. Nur weil einige KMU bisher noch nicht in Nachhaltigkeit und Umweltschutz investiert haben, heißt das aber nicht, dass sie es per se nicht planen zu tun. In unserer Studie haben wir das allerdings nicht abgefragt.

Welche Rolle spielen Weiterbildungen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen, für KMU?

Prof. Miriam Bird: Insbesondere hinsichtlich des Fachkräftemangels ist Weiterbildung ein essenzielles Thema. Unternehmen werden immer mehr in ihre Mitarbeiter:innen investieren müssen, um sie langfristig an das Unternehmen zu binden und für kommende Aufgaben gewappnet zu sein. Wir merken bereits, dass sich KMU immer schwerer tun, qualifizierte Fachkräfte zu finden, sodass die Weiterbildung der bestehenden Mitarbeiter:innen ein wichtiges Mittel ist, um dieser Fachkräftelücke  entgegenzuwirken.

Sidney Hribersek: In unserer Studie haben wir uns darüber hinaus betriebsspezifische sowie betriebsübergreifende Weiterbildungen angeschaut. Im Jahr 2021 nahmen bereits 34 Prozent der Mitarbeiter:innen der befragten KMU an Weiterbildungen teil. Dieser Wert untermauert, dass KMU bereits heute bereit sind, ihren Beschäftigten Weiterbildungen zu ermöglichen und darin zu investieren.

Wenn Sie zum Abschluss des Gesprächs eine Bilanz ziehen: Wie bewerten Sie die momentane Lage der KMU hierzulande hinsichtlich Umwelt- und Klimaschutz?

Prof. Miriam Bird: Der Stand ist zurzeit gut. Obwohl es immer Raum für Verbesserungen gibt, zeigen kleine und mittlere Unternehmen tendenziell bereits eine positive Entwicklung in die richtige Richtung.

Sidney Hribersek: Deutsche KMU erzielen derzeit bedeutende Fortschritte im Bereich Umweltinnovationen innerhalb des bestehenden Markts. In Zukunft ist erstrebenswert, dass KMU auch vermehrt radikale Umweltinnovationen vorantreiben, das heißt, in neue Produkte und Dienstleistungen sowie in neue Märkte investieren, um somit die zukünftigen Entwicklungen im Bereich der unternehmerischen Nachhaltigkeit aktiv mitzugestalten.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Prof. Bird und Frau Hribersek!

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