Chancen und Herausforderungen des Green Deals für KMU
Mit dem European Green Deal möchte die EU weltweit eine Führungsrolle bei der Bekämpfung des Klimawandels einnehmen.
Mit dem Green Deal möchte die EU-Kommission Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Erste konkrete Maßnahmen legte sie dazu im Juli vor. Der EU-Parlamentsabgeordnete Dr. Markus Pieper erklärt im Interview, welche Chancen und Herausforderungen der Green Deal für kleine und mittlere Unternehmen bietet und wie verhindert werden kann, dass Klimaschutz in der EU zum Nachteil europäischer Unternehmen im internationalen Wettbewerb wird.
DMB: Herr Dr. Pieper, welche Chancen und Herausforderungen gehen mit dem European Green Deal und dem „Fit for 55“-Paket für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) einher?
Chancen des Green Deals und des Fit-für-55-Pakets für kleine und mittlere Unternehmen liegen insbesondere darin, dass sie ihre Innovations- und Technologieführerschaft in Europa und im internationalen Wettbewerb ausbauen, maßgeblich zum Gesundheits-, Klima-, und Umweltschutz beitragen können und neue Impulse für eine nachhaltige Transformation geben. Gleichzeitig trägt der Ausbau erneuerbarer Energien zur Energiesicherheit in Europa bei und macht damit den europäischen Mittelstand unabhängiger von Energieimporten für die Produktion. Auch profitieren KMU, gerade aus dem Handwerksbereich, maßgeblich von Vorhaben wie der Erneuerbare-Energien-Richtlinie oder der Richtlinie über Energieeffizienz, wenn es um die Umsetzung, sprich Renovierung von Gebäuden oder Installation von nachhaltigen Anlagen geht. Das alles benötigt allerdings seine Zeit. Diese Übergangsphase und Leitplanken richtig zu gestalten, stellt die größten Herausforderungen dar.
Wie machen wir die Wende, insbesondere für KMU, in Produktion und Anspruch bezahlbar? Wie fördern und erreichen wir gerade mittelständische Betriebe so einfach, dass sie von EU-Mitteln profitieren? Wie können wir die Innovationskraft von KMU als Triebfeder für eine technologieoffene Transformation nutzen? Wie binden wir sie in die Ausgestaltung der neuen Gesetze effektiv und gewinnbringend ein? Das sind Fragen, die beantwortet werden müssen. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die Maßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit von KMU in Europa nicht zu sehr einschneiden, was wiederum Arbeitsplätze und den Wohlstand im Transformationsprozess gefährden könnte. Abschließend muss man allerdings festhalten, dass die Chancen die Herausforderungen überwiegen. Dafür, dass dies mittelstandsfreundlich gelingt, setze ich mich ein.
Die EU-Mitgliedsstaaten haben unterschiedliche Interessen hinsichtlich der Wirtschaftspolitik und des Klimaschutzes. Für wie realistisch halten Sie es, die Ziele des Green Deals zu erreichen?
In drei Worten: ambitioniert, aber machbar. Die Europäische Union (EU) hat insbesondere die Aufgabe, eine wirtschaftliche Konvergenz zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten herzustellen und zur Steigerung des Wohlstands in den Mitgliedstaaten beizutragen. Klar ist, dass wir von verschiedenen Ausgangsniveaus starten, allerdings bietet die EU eben dafür gesonderte Investitionsmöglichkeiten, wie beispielsweise den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI). Die darin enthaltenen Programme haben auch gesonderte Budgets für die Erreichung der Klimaziele und können gemeinsam mit gezielten Klimabeihilfen, die die Mitgliedstaaten ihren Unternehmen gewähren können, das Konfliktpotential zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten vermindern. Auch ist allen Beteiligten bewusst, dass langfristig gesehen, das Ziel der Klimaneutralität allen Menschen in Europa zugutekommt. Allerdings darf man auf dem Weg dorthin den Kohlekumpel in Polen nicht gegen den Solarfarmer in Spanien ausspielen. Dieser Einigungsprozess benötigt Zeit und es kann gut sein, dass wir die Ziele des Green Deals nicht in den jeweils dafür vorgesehenen Jahren erreichen, denn wir leben ja nicht in einer Planwirtschaft, sondern einer sozialen Marktwirtschaft. Es nutzt niemandem, wenn sich Europa große Ziele steckt, die am Ende dann doch wieder gerissen werden. Das kommt beim Bürger ebenso wenig gut an wie in der Wirtschaft. Deshalb plädiere ich für eine realistische Ausgestaltung der Ziele, insbesondere im „Fit-for-55“-Paket, und den Transformationspfaden, die daraus folgen. Ob wir es dann ein Jahr früher oder zwei Jahre später schaffen, ist für mich sekundär, denn bis dahin liegt noch viel Arbeit vor uns, die es zu bewerkstelligen gilt.
Wie kann verhindert werden, dass die Anstrengungen der Europäischen Union auf dem Weg zur Klimaneutralität zu einem Wettbewerbsnachteil für KMU gegenüber Konkurrenz aus Ländern mit weniger ambitionierten Klimaschutzvorgaben werden?
Dafür gibt es mehrere Stellschrauben, die es zu bedienen gilt. Nicht-EU-Unternehmen, die im Europäischen Binnenmarkt aktiv sein wollen, müssen die gleichen Vorgaben wie die in Europa beheimateten Unternehmen erfüllen. Das hat nichts mit Protektionismus zu tun, sondern ist eine Frage der Fairness. Gerade für KMU sind gleiche Ausgangs- und Wettbewerbsbedingungen Grundvoraussetzung für das Gelingen des Green Deals. Was dies allerdings noch nicht behebt, sind die steigenden Exportpreise von Produkten des Mittelstands und damit die Schwächung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Hier hilft vor allem nur Vorsorge statt Nachsorge: Wir müssen die Energie und die notwendige Infrastruktur für KMU und den industriellen Mittelstand, das heißt, den bunten Wasserstoff, die notwendigen Wasserstoffimporte aber auch Erdgas als Übergangstechnologie, bezahlbar machen. Wenn die Primärenergiepreise günstig bleiben, sichert das auch die Exportstärke der deutschen Wirtschaft. Dafür braucht es günstige Energieproduktions- und Nutzungsbedingungen vor Ort, einen staatlich gegenfinanzierten Kostendeckel für Betriebe, deren Energiekosten über ein bestimmtes Maß steigen, und den Ausbau, nicht die Kürzung dringend notwendiger Umwelt- und Energiebeihilfen für die grüne Transformation. So kann sichergestellt werden, dass KMU im internationalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen geraten.
Mit dem Green Deal möchte die Europäische Union zum ersten klimaneutralen Kontinent werden und somit eine führende Rolle beim weltweiten Klimaschutz einnehmen. Wie kann die EU es schaffen, die erhöhten Klima- und Umweltstandards auch über ihre Grenzen hinaus zu verbreiten?
Richtig, Europa kann eine führende Rolle beim weltweiten Klimaschutz einnehmen, Vorreiter sein und Standards setzten. Wenn wir mit Ideen, Konzepten und Taten überzeugen, werden uns auch andere Länder folgen. Dass dies gelingt, zeigt beispielsweise die Übernahme des Konzepts des EU-Emissionshandelssystems in China. Seit Beginn des Jahres umfasst das nationale chinesische Emissionshandelssystem schätzungsweise mehr als vier Milliarden Tonnen CO2, was etwa 40% der nationalen Kohlenstoffemissionen entspricht. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Auch dass China, der mit Abstand größte CO2-Emittent weltweit, mit der EU bis Jahresende eine gemeinsame Taxonomie nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten vorlegen will, zeigt, dass der sogenannte Brüssel-Effekt, die Übernahme von Ideen respektive Adaptation von EU-Normen und Vorgaben außerhalb des europäischen Binnenmarktes, greift. Gleiches gilt für die neue Klimapartnerschaft mit den USA, die eine kooperative Zusammenarbeit zum Ziel hat. Ähnlich gestaltet es sich in der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern. Grüner Wasserstoff wird für die nachhaltige Transformation des produzierenden Gewerbes unerlässlich sein. Hier kann Europa von Entwicklungspartnerschaften und gezielten Importstrategien profitieren und gleichzeitig einen maßgeblichen Beitrag zum Wissenstransfer in Entwicklungsländer leisten. Das kommt dann sowohl europäischen als auch nicht-europäischen KMU zugute.
Was erwarten Sie von der diesjährigen UN-Klimakonferenz in Glasgow? Welche Rolle sollte die Europäische Union bei den dortigen Verhandlungen einnehmen?
Die UN-Klimakonferenz in Glasgow hat vier Ziele: Bis Mitte des Jahrhunderts die globale Klimaneutralität zu sichern und das 1,5 Grad-Ziel in Reichweite zu halten, natürliche Lebensräume schützen, Finanzmittel für die grüne Transformation zu mobilisieren und diese Ziele in gemeinsamer Arbeit zu erreichen. Ich erwarte deshalb von der UN-Klimakonferenz auch klare Signale hinsichtlich einer koordinierten internationalen Zusammenarbeit und Verbindlichkeit. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass globale Herausforderungen wie der Klimawandel, nur gemeinsam bewältigt werden können. Die Europäische Union sollte deshalb eine Vermittlerrolle einnehmen und für einen gemeinsamen Weg werben. Wie in Europa selbst, gibt es global unterschiedliche Ausgangsniveaus und Leistungsmöglichkeiten. Das man sich trotzdem auf ein Ziel einigen kann, zeigt Europa ebenfalls. So wäre es beispielsweise auch ein erster richtiger und wichtiger Schritt, sich auf einen globalen CO2-Mindestpreis zu einigen. Aktuell liegt der Preis für eine Tonne CO2 in der EU bei knapp 60 Euro, in China bei rund 7 Euro und im U.S.-amerikanischen Kalifornien bei etwas über 20 Euro. Schafft man es, wie bei der globalen Mindeststeuer, hier erste Pflöcke einzuschlagen, kann dies wirklich nachhaltig helfen. Von diesen Entscheidungen können dann auch kleine und mittelständische Unternehmen profitieren, da sie langfristig eine Perspektive für ihre Planungs- und Investitionssicherheit bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Pieper!
Dieses Interview ist Teil der Beitragsserie Internationale Klimapolitik