01.12.2022Interview

"Es ist sinnvoll, das Dach möglichst voll zu belegen."

Eine Photovoltaik-Anlage auf dem eigenen Gebäudedach hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch strategische und soziale Vorteile.

Lisa Conrads von NRW.Energy4Climate ist mit der Umsetzung der Kampagne "Mehr Photovoltaik auf Gewerbedächern" des nordrhein-westfälischen Wirtschafts- und Klimaschutzministeriums betraut. Welches Ziel die Kampagne verfolgt, welche Vorteile eine eigene Photovoltaikanlage für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bringt und was sich Unternehmen zu Beginn ihrer Planung überlegen sollten, darüber spricht Lisa Conrads in diesem Interview.

Frau Conrads, was verbirgt sich hinter der Kampagne „Mehr Photovoltaik auf Gewerbedächern“ und was sind ihre Ziele?

Um die Photovoltaik (PV) konsequent im Gewerbebereich zu etablieren und dadurch die bisher unerschlossenen Potenziale zu heben, hat das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium des Landes NRW die Kampagne „Mehr Photovoltaik auf Gewerbedächern“ ins Leben gerufen. NRW.Energy4Climate setzt die Kampagne seit Anfang des Jahres 2022 operativ um. Weitere Unterstützer sind der Landesverband Erneuerbare Energien NRW e.V., die IHK NRW - Die Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen e. V. sowie der Dachverband Handwerk.NRW.

Mit der Kampagne möchte die Landesregierung Nordrhein-Westfalen einen Beitrag zu ihrem Ziel leisten, die installierte Leistung von Photovoltaik bis 2030 auf mindestens 18 Gigawatt gegenüber 2020 zu verdreifachen, wenn möglich sogar auf 24 Gigawatt zu vervierfachen. Für das Erreichen dieses Ziels bieten Gewerbedächer bedeutende PV-Potenziale an. Mehr als 20 führende Handels-, Logistik- und Immobilienunternehmen sind bereits Teil der Kampagne und haben sich in einer gemeinsamen Erklärung verpflichtet, den Einsatz Erneuerbarer Energien, insbesondere der Photovoltaik, zu verstärken.

Über die Website www.pv-auf-gewerbe.nrw stellen das Ministerium und NRW.Energy4Climate umfangreiche Informationen und Leitfäden zum Ausbau der Photovoltaik auf Gewerbedächern bereit. Im Rahmen von Roadshows und Online-Seminaren bringt die Kampagne außerdem Gewerbebetriebe und Photovoltaik-Dienstleister in NRW zusammen und schafft eine Plattform für den Austausch untereinander.

Welche Vorteile bringt die Nutzung von Photovoltaikanlagen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)?

Mit der Solarstromproduktion vom eigenen Gewerbedach können Betriebe ihre Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und vom Energiemarkt deutlich verringern. Dies sichert dem Unternehmen auch in Zeiten steigender Energiepreise eine zuverlässige und bezahlbare Stromversorgung.

Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht die Vorteile der Photovoltaik: Während sich die Energiekosten in diesem Sommer innerhalb kurzer Zeit teilweise verdoppelt haben, blieben die Stromgestehungskosten des Solarstroms über Jahrzehnte hinweg nahezu konstant und stets gut prognostizierbar. Werden gewerbliche Strombezugspreise, die auf teils 35 Cent pro Kilowattstunde und mehr gestiegen sind, mit den Stromgestehungskosten einer Photovoltaikanlage verglichen, so kann ein Unternehmen mit jeder vor Ort genutzten Kilowattstunde etwa 25 Cent sparen. Werden beispielsweise vor Ort etwa 100.000 Kilowattstunden (kWh) Solarstrom produziert (das entspricht dem Ertrag einer Anlage mit etwa 120 Kilowatt-Peak (kWp) Leistung) und davon etwa 80.000 kWh direkt genutzt, belaufen sich die Einsparungen auf etwa 20.000 Euro pro Jahr. Je mehr Strom vor Ort direkt genutzt werden kann, desto größer ist die Kostenersparnis. Die meisten gewerblichen PV-Anlagen rechnen sich innerhalb von acht bis zehn Jahren, teils schon nach deutlich unter acht Jahren.

Neben den wirtschaftlichen Vorteilen ist die PV-Anlage eine sinnvolle Nachhaltigkeitsmaßnahme. Jede produzierte Kilowattstunde Solarstrom spart in Deutschland etwa 380 Gramm CO2 ein und ersetzt vor allem Strom aus Steinkohle- und Gaskraftwerken. Mit einer 230 kWp-PV-Anlage können jährlich etwa 223.000 kWh Solarstrom produziert und entsprechend knapp 86.000 Kilogramm CO2 pro Jahr vermieden werden. Wird der Solarstrom zur Vermeidung noch weiterer fossiler Energieträger eingesetzt, zum Beispiel im Bereich Wärme oder Mobilität, lassen sich zusätzlich auch die lokalen Stickoxid- und Feinstaubemissionen reduzieren.

Der Einsatz moderner, klimaschonender Technologien wie Photovoltaik, Batteriespeicher, Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und intelligente Energiemanagementsysteme zeigen zum einen nach außen eine technologisch positive Grundhaltung und zum anderen die Bereitschaft, die globale Herausforderung Klimawandel, anzunehmen und dieser mit nachhaltigen Maßnahmen zu begegnen. Dieses Nachhaltigkeitsdenken ist nicht nur bei den Entscheidungsprozessen von Bestands- und Neukunden:innen ein immer wichtigerer Faktor, sondern auch bei Fachkräften, die auf der Suche nach attraktiven Arbeitgebern sind. Manche Unternehmen gehen sogar noch einen Schritt weiter und geben den Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich an der PV-Anlage und den Erlösen zu beteiligen, wodurch eine verbesserte Mitarbeitendenbindung erreicht werden kann.

Die Vorteile einer Photovoltaik-Anlage auf dem eigenen Gebäudedach sind also nicht nur rein wirtschaftlicher, sondern auch strategischer und sozialer Natur.

Welches Potential besteht für Photvoltaik im Gewerbe in Nordrhein-Westfalen?

Das Potenzial, das Gewerbebauten in Nordrhein-Westfalen für die Photovoltaik bieten, ist immens. Ging man 2018 schon davon aus, 68 Terawattstunden (TWh) Solarstrom auf den Dächern Nordrhein-Westfalens erzeugen zu können, liegt das Volumen durch gesteigerte PV-Moduleffizienzen mittlerweile bei über 80 TWh. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen haben wir derzeit einen Strombedarf von 140 TWh, der theoretisch so zu fast 60 Prozent gedeckt werden könnte. Durch Belegung von Gewerbedächern mit Photovoltaik können wir das Tempo, dem Klimawandel entgegenzuwirken, erheblich steigern. Um die Leistung einer einzigen 750 kWp-Anlage auf einem Gewerbedach zu erreichen, müsste man mindestens 100 Einfamilienhäuser mit PV-Anlagen belegen.

Gewerbedächer sind für den Einsatz der Photovoltaik prädestiniert. Durch die großen Flächen wirken Skaleneffekte bei den Investitionskosten, da bestimmte Kostenkomponenten nicht analog zur Anlagengröße steigen. Bricht man den Preis auf 1 Kilowatt installierter Leistung herunter, sind größere Anlagen daher je kW etwas günstiger als kleinere Anlagen. Durch die Korrelation von Stromerzeugung und -verbrauch, ist ein hoher Vor-Ort-Verbrauch möglich, denn Gewerbebetriebe produzieren ja insbesondere tagsüber, wenn auch die PV-Anlage Strom erzeugt. Deswegen ist es bei gewerblichen Neubauten oder auch bei umfangreichen Dachsanierungen wichtig, dass ausreichende Reserven der Dachstatik für die Installation einer PV-Anlage von Anfang an mit eingeplant werden.

Ist es derzeit für Unternehmen (wirtschaftlich) sinnvoller, den erzeugten Solarstrom selbst zu nutzen oder ins Netz einzuspeisen?

In den letzten Jahren ging der Trend stark in Richtung Eigenverbrauch. Die Vergütungssätze für eingespeisten Strom sind sehr stark gesunken. Diese Entwicklung wurde mit der aktuellen EEG-Novelle glücklicherweise gestoppt. Für alle Anlagen wurden die Vergütungssätze erhöht. Somit rechnet sich auch die Überschusseinspeisung wieder und es ist sinnvoll, das Dach möglichst voll zu belegen. Wenn Eigenverbrauch nicht oder nur sehr begrenzt möglich ist, beispielsweise in Lagerhallen, ist nun auch die Volleinspeisung wieder attraktiv, da hier höhere Vergütungssätze gezahlt werden. PV-Anlagen über 100 kW sind zudem verpflichtet, den Strom an der Strombörse zu vermarkten. Das ist mittlerweile unkompliziert möglich und aufgrund der gestiegenen Börsenstrompreise ebenfalls sehr attraktiv. In den vergangenen Monaten lagen die Erlöse der Direktvermarktung häufig über der gesetzlichen Einspeisevergütung.

Besonders interessant ist die Möglichkeit des Anlagensplittings. Hier werden zwei separate Anlagen installiert, eine für die Eigenversorgung und die zweite für die Volleinspeisung. So werden die Dachflächen maximal genutzt. Der Betreiber bleibt flexibel, da ein Wechsel zwischen den Vergütungsformen Eigenversorgung oder Volleinspeisung jährlich möglich ist. 

Mit der EEG-Novelle sind nun Anlagen bis 1 Megawatt (MW) möglich, ohne mit diesen in die Ausschreibung zu müssen. Durch den Wegfall der EEG-Umlage sind zudem Konstellationen mit (Unter-) Mietern in Gewerbeimmobilien einfacher geworden.

Was sollten sich Unternehmen überlegen bzw. womit sollten sie anfangen, wenn sie Photovoltaik für ihren Betrieb nutzen möchten?

Für die Planung einer PV-Anlage sollte man sich zunächst ein genaues Bild über die eigene Liegen­schaft machen. Hierzu genügt es schon, die Adresse in eine Suchmaschine einzugeben und sich dort einmal über die angebotenen Kartendienste ein Satellitenbild des Dachs anzu­schauen. Die Fotos geben bereits einen guten ersten Eindruck, wie das Dach aufgebaut ist und welche Hindernisse auf dem Dach vorhanden sind. Manche Kartendienste erlauben auch mit wenigen Klicks eine vereinfachte Vermessung der Dachfläche. Indem man diese Fläche durch den Wert Acht teilt, be­kommt man bereits eine konservative Ab­schätzung über die potenziell installierbare Anlagenleistung. Wer sich in Bezug auf das Photovoltaik-Potenzial noch detailliertere Daten zur eigenen Liegenschaft in Nordrhein-Westfalen anschauen möchte, der kann das Solarkataster des Lan­desamts für Natur, Umwelt und Ver­braucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV NRW) ausprobieren.

Neben dem Blick von oben ist auch ein Blick „nach innen“, also auf den eigenen Energiebedarf und die -kosten, wichtig. Hierzu kann man sich einfach die Menge des aus dem Netz bezogenen Stroms und den dazugehörigen Strompreis anschauen.

Bei der Ansprache von Fachbetrieben zur Angebotseinholung ist es hilfreich, einige Informationen bereits zur Hand zu haben, die Rückschlüsse auf die Eigenverbrauchs- und Autar­kiequote zulassen. Hierzu zählen die Adresse der Liegenschaft, der Gesamtstromverbrauch pro Jahr und wenn vorhanden das dazugehörige Lastprofil, der Strompreis pro Kilowattstunde, die Art und die Kernzeit der Gebäudenutzung. Auch Hinweise auf mögliche Großverbraucher und den Zustand der Elektrik erleichtern die Ersteinschätzung.

Unter www.pv-auf-gewerbe.nrw steht ein Vorabcheck als PowerPoint-Vorlage zum Download bereit, welcher die obi­gen Punkte aufgreift und bei Bedarf, als PDF-Datei exportiert, an Fachunternehmen verschickt werden kann. Eine aus­führliche Checkliste, welche alle Schritte von der Vorbereitung bis zur Inbetriebnahme abbildet, kann ebenfalls auf der Kampagnenwebsite herunterge­laden werden.

Welche weiteren Nutzungsmöglichkeiten bieten sich an, wenn eine Photovoltaikanlage im eigenen Betrieb genutzt wird?

Zuletzt sind nicht nur die Strompreise deutlich gestiegen, sondern auch die Preise für Benzin, Diesel und Gas. Es liegt daher nahe, den vor Ort produzierten Solarstrom auch für gewerbliche Elektrofahrzeuge zu nutzen und so die Ausgaben für fossile Kraftstoffe deutlich zu reduzieren.

Der Sektor Wärme rückt ebenfalls mehr und mehr in den Fokus. Insbesondere für Unternehmen mit hohem Kühlbedarf ist die Nutzung von lokal produziertem Solarstrom sinnvoll, da die ertragsstärksten Monate gleichzeitig auch die wärmsten Monate darstellen. Auch der Einsatz von Wärmepumpen kann, dank der meist großen Gewerbedächer und damit großen Anlagenleistungen, gewinnbringend für die Klimatisierung von Büro- und Serverräumen eingesetzt werden sowie den Gas- und Ölverbrauch deutlich senken. Auch stationäre Batteriespeicher werden zunehmend für Gewerbebetriebe interessant. Sie können nicht nur den Eigenverbrauch erhöhen, indem Solarstromüberschüsse vom Tag für die Deckung des nächtlichen Stromverbrauchs genutzt werden, sondern auch für eine dynamische Kappung von Lastspitzen sorgen. Das kann je nach Situation Betrieben mehrere tausend Euro im Jahr sparen. Weitere Anwendungsfelder sind die Notstromversorgung sowie die Vermarktung des Speichers, zum Beispiel für Netzdienstleistungen. Hierbei können die günstig produzierten Solarstromüberschüsse zu finanziell attraktiven Zeiten an der Strombörse verkauft werden.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Conrads!

Dieser Beitrag ist Teil von Mittelstand WISSEN zum Thema KMU als Prosumer: Mehr Unabhängigkeit bei Strom und Wärme

 

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