Rechtskommentar:
Die Patientenverfügung – Regelungen zwischen Behandlungsauftrag und Selbstbestimmungsrecht
Rechtskommentar:
I. Problemstellung
Die Tatsache, dass es immer mehr und modernere Möglichkeiten der Krankheitsbehandlung, der Lebensrettung und der Lebensverlängerung gibt, bedeutet, dass der Sterbeprozess heutzutage von den medizinischen Möglichkeiten beeinflusst und in die Länge gezogen werden kann – der Tod bzw. der Todeszeitpunkt dann zu einer medizinischen Entscheidung werden. Hieraus resultiert die Angst vieler Menschen, dass eine Lebensverlängerung unter bestimmten Umständen eine Leidensverlängerung bedeuten kann. Im Gegensatz hierzu steht die Angst, dass eines Tages nicht alles medizinisch Mögliche getan wird, um das eigene Leben zu erhalten.
§ 1901 a BGB definiert den Begriff der Patientenverfügung wie folgt:
"Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen.“
In der Patientenverfügung hält der Einzelne fest, was mit ihm geschehen soll, wenn selbstbestimmtes Handeln und eine eigene Entscheidungsfindung nicht mehr möglich sind. Sie soll dem einzelnen Bürger die Möglichkeit geben, bereits im Vorfeld zu bestimmen, welche medizinischen Maßnahmen ergriffen werden sollen und welche nicht, sollte er eines Tages nicht mehr in der Lage sein dies selbst mitzuteilen.
Aus Sicht des Patienten handelt es sich oftmals um Maßnahmen wie z.B. die künstliche Ernährung, Wiederbelebungsmaßnahmen, die künstliche Beatmung, schmerzlindernde Maßnahmen, die Gabe von Antibiotika, Bluttransfusionen, Organtransplantationen etc..
II. Rechtliche und inhaltliche Grundlagen
1. Die Patientenverfügung ist Ausfluss des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts jedes einzelnen Bürgers.
2. Wesentlich zum Verständnis dieses rechtlichen Konstrukts ist, dass jede ärztliche Behandlungsmaßnahme rechtlich betrachtet eine Körperverletzung am Patienten darstellt. Lediglich die wirksame Einwilligung des Patienten in die jeweilige Behandlung rechtfertigt diese Körperverletzung. Ist ein Patient also nicht mehr in der Lage diese Einwilligung ausdrücklich zu äußern, kann der behandelnde Arzt nur aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten medizinisch indizierte Behandlungsmaßnahmen einleiten.
Liegt eine Patientenverfügung vor, kann somit ein Spannungsverhältnis entstehen – wenn der Arzt bestimmte Maßnahmen als medizinisch indiziert erachtet, die der Patient in seiner Verfügung ausgeschlossen hat. Es kann somit zum Konflikt zwischen dem behandelnden Arzt und den Vertretern oder Betreuern des Patienten kommen.
3. Dass eine Patientenverfügung prinzipiell verbindlich ist, hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahre 2003 festgelegt. D. h., wenn eine Patientenverfügung wirksam erstellt ist und den konkret eingetretenen Behandlungsfall beschreibt darf sich der Arzt hierüber nicht hinwegsetzen.
Nunmehr ist die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung auch gesetzlich geregelt. Paragraph 1901 a BGB stellt dabei klar, dass es für die Beachtlichkeit des festgestellten Patientenwillens nicht auf Art oder Stadium einer Erkrankung ankommt. Es ist gesetzlich klargestellt, dass die Patientenverfügung die Selbstbestimmung in allen Lebensphasen gewährleisten soll.
4. Eine Patientenverfügung ist für den behandelnden Arzt jedoch nur dann verbindlich, wenn sie wirksam erstellt ist.
Sie muss diversen formellen Anforderungen genügen:
- der Verfasser muss zum Zeitpunkt der Erstellung volljährig sein.
- er muss zum Zeitpunkt der Erstellung einwilligungsfähig sein. Dabei setzt die Einwilligungsfähigkeit voraus, dass der Betroffene in der Lage war, Art, Tragweite und Bedeutung seiner Entscheidung zu verstehen.
- die Erstellung muss schriftlich erfolgen
5. Neben den formellen Anforderungen an die Erstellung einer Patientenverfügung kommt natürlich der Frage nach dem Inhalt größte Bedeutung zu.
Gesetzlich ist vorgesehen, dass der Betreuer oder Bevollmächtigte des Patienten zunächst in einem ersten Schritt prüfen muss, ob die Festlegungen auf die konkrete Lebens- oder Behandlungssituation passen. Ist dies der Fall, sind die in der Patientenverfügung enthaltenen Angaben zu dieser Situation zu befolgen.
Ist die konkret eingetretene Behandlungssituation in der Patientenverfügung nicht ausdrücklich enthalten, dann muss der Betreuer oder Bevollmächtigte im etwaigen zweiten Schritt prüfen, ob ein mutmaßlicher Wille des Betreuten feststellbar ist und unter Beachtung dieses Willens an Stelle des Patienten über die Einwilligung in die Behandlungsmaßnahme entscheiden.
Problematisch ist vielfach, dass die Patientenverfügung nicht ausreichend konkret formuliert ist, so dass ihr in der eingetretenen Krankheits- oder Unfallsituationen nur schwerlich entnommen werden kann, was vom Patienten gewollt ist und was nicht.
Zu prüfen ist dann, ob die Patientenverfügung ausreichende Auslegungshilfen enthält, anhand derer im Zweifelsfall zumindest der mutmaßliche Wille des Patienten ermittelt und durchgesetzt werden kann.
Nach § 1901 a BGB prüft also der Betreuer oder Bevollmächtigte, ob die in der Patientenverfügung getroffenen Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu treffen. Hierin liegt letztlich der Kernpunkt und die größte Schwierigkeit bei der Erstellung und Befolgung einer Patientenverfügung. Die Frage, ob der Patientenverfügung eines Tages tatsächlich Geltung verschafft werden kann hängt entscheidend davon ab, wie konkret sie auf die individuellen Bedürfnisse und die individuelle Situation angepasst ist.
a) So macht auch § 1901 a BGB eine unmittelbare Bindung letztlich davon abhängig, dass ganz bestimmte ärztliche Maßnahmen und eine konkrete Beschreibung der Anwendungssituation festgelegt werden.
b) Tritt jedoch eine Behandlungssituation ein, die nicht ausdrücklich geregelt ist, dann muss ermittelt werden, was der Patient in dieser Situation gewollt hätte. Bestenfalls enthält die Patientenverfügung inhaltliche Auslegungshilfen.
Heranzuziehen sind dann z.B. folgende Punkte:
- Motivation zur Erstellung,
- Einstellung zu bisherigem und zukünftigem Leben und zum Sterben,
- Einstellung zu Behinderungen
- religiöse Anschauungen
6. Die Patientenverfügung muss zum streitigen Zeitpunkt aktuell sein. Sie sollte keine Anhaltspunkte enthalten, die darauf schließen lassen könnten, dass der Verfasser seine Meinung inzwischen geändert hat.
Dies kann insbesondere dann problematisch sein, wenn sich die Lebensumstände oder der Gesundheitszustand seit der Erstellung erkennbar verändert haben.
In § 1901 a Abs. 1 S. 2 BGB ist geregelt:
"Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden."
Entgegen der teilweise verbreiteten Meinung kann die Patientenverfügung jederzeit auch mündlich oder sogar nonverbal, durch schlüssiges Verhalten, widerrufen werden.
7. In der Patientenverfügung können selbstverständlich keine verbotenen Handlungen vom Arzt verlangt werden.
Die sogenannte aktive Sterbehilfe, also eine aktive Tötung auf Verlangen im Sinne von § 216 StGB, ist in Deutschland verboten und kann daher nicht verbindlich geregelt werden.
Erlaubt und verbindlich regelbar ist der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen. Dies u.a. dann, wenn die Krankheit einen unumkehrbar tödlichen Verlauf genommen hat, auch wenn der unmittelbare Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat aber der Abbruch dem tatsächlichen oder mutmaßlichen willen des Patienten entspricht.
Straflos ist auch die indirekte Sterbehilfe, also die gezielte Schmerzlinderung, die u.U. ungewollte aber unvermeidbare lebensverkürzende Nebenwirkungen hat.
8. Eine ordnungsgemäße Einwilligung in eine ärztliche Behandlungsmaßnahme setzt voraus, dass der Patient ausreichend über Art und Weise der Behandlung und deren Tragweite aufgeklärt wurde. Wenn die Patientenverfügung also Festlegungen beinhaltet, die die Vornahme von bestimmten Behandlungsmaßnahmen ausdrücklich anordnet, muss darin gleichzeitig enthalten sein, dass der Ersteller über diese Maßnahmen aufgeklärt wurde oder auf eine Aufklärung verzichtet.
Im Unterschied hierzu sind Angaben zur Aufklärung nicht erforderlich, wenn eine Behandlungsmaßnahme abgelehnt wird, also gerade nicht erfolgen soll.
III. Was geschieht, wenn in der Auslegung der Verfügung Uneinigkeit besteht?
1. Gesetzlich ist geregelt, dass den auf die Behandlungssituation zutreffenden Festlegungen in der Patientenverfügung vom Betreuer oder vom Bevollmächtigten Geltung verschafft wird.
Das heißt konkret: wenn der Patient keinen Bevollmächtigten bestellt hat, also keine Person bevollmächtigt hat, die ihn in Gesundheitsfragen vertreten soll, wird gerichtlich ein Betreuer bestellt, dem dann diese Aufgabe zufällt. Es besteht also die Möglichkeit einen Bevollmächtigten zu ernennen oder dem Gericht einen Vorschlag zu unterbreiten, wer als Betreuer bestellt werden soll. Im Ergebnis wird dem Patienten zu raten sein, beides zu tun, also neben der Patientenverfügung noch eine Vorsorgevollmacht sowie eine Betreuungsverfügung zu erstellen.
Vorsorgevollmacht
In der Vorsorgevollmacht wird ausdrücklich eine Person bevollmächtigt, die die in der Patientenverfügung enthaltenen Wünsche durchzusetzen soll. Die Vorsorgevollmacht setzt voraus, dass der Ersteller geschäftsfähig ist, das heißt es muss die Fähigkeit zur freien Willensbildung gegeben sein.
Betreuungsverfügung
Von der Vorsorgevollmacht ist die so genannte Betreuungsverfügung abzugrenzen. Hierin macht der Ersteller dem Gericht einen Vorschlag, wer als Betreuer bestellt werden soll, wenn ein von Betreuungsverfahren eingeleitet wird.
Die Betreuungsverfügung entfaltet also erst dann Wirkung, wenn das Gericht es für erforderlich hält, dass die Handlungsbefugnis des Erstellers auf den Vorgeschlagenen übertragen wird, was heißt, dass das Betreuungsgericht dann über die Einhaltung der Verfügung wacht. Im Unterschied zur Vorsorgevollmacht muss der Ersteller bei der Abfassung auch nicht geschäftsfähig sein.
2. Besteht zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt kein Einvernehmen über die Erteilung oder Nicht-Erteilung der Einwilligung in eine Behandlungsmaßnahme, regelt § 1904 BGB, dass eine Kontrolle durch das Betreuungsgericht stattfindet. Dies gilt für die Einwilligung in eine Maßnahme, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der Vornahme der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Gleiches gilt zum Anderen für die Nichteinwilligung, wenn die Maßnahme, die unterbleiben soll, medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.
Ist dies der Fall, schreibt § 1904 BGB vor, dass die jeweilige Entscheidung des Betreuers oder Bevollmächtigten vom Betreuungsgericht genehmigt werden muss.
§ 1904 Abs. 1 S. 2 regelt, dass eine solche Maßnahme nur dann durchgeführt werden kann, wenn mit ihrem Aufschub Gefahr verbunden ist – in diesem Fall braucht der Arzt die Genehmigung nicht abzuwarten und darf die notwendige unaufschiebbare Behandlung vornehmen.
3. Soweit der Arzt jedoch feststellt, dass ein Patient eine wirksame Einwilligung nach erfolgter Aufklärung nicht erteilen kann und weder ein Bevollmächtigter noch Betreuer des Patienten ersichtlich sind, ist die Bestellung eines Betreuers beim Betreuungsgericht seitens des Arztes bzw. Krankenhauses anzuregen.
Dies kann z.B. mittels eines Vordruckes zur Anregung der Einrichtung einer Betreuung geschehen. Die Anregung muss schriftlich erfolgen und vom Arzt unterschrieben sein. Sie sollte die Bestellung mittels der Angabe eines kurzen Befundes begründen.
In dringenden Fällen wird das Betreuungsgericht dann durch eine einstweilige Anordnung einen vorläufigen Betreuer bestellen. Regelmäßig kann dies innerhalb einiger Stunden geschehen. Das Betreuungsgericht faxt den diesbezüglichen Beschluss dann unmittelbar an das betreffende Krankenhaus zurück.
Solange noch kein Betreuer bestellt ist oder nicht klar ist, ob ein Betreuer oder Vertreter bestimmt wurde – darf der Arzt eine medizinisch indizierte und im mutmaßlichen Interesse des Patienten liegende Behandlungsmaßnahme durchführen. Liegt allerdings keine dringende Indikation vor, muss die Bestellung eines Betreuers und dessen Entscheidung abgewartet werden.
Es gilt letztlich immer der Grundsatz, dass solange die Frage der Einwilligung ungeklärt ist, eine Gefahr für den Patienten durch Unterlassung indizierter Maßnahmen zu vermeiden ist, jedoch nur diejenigen Maßnahmen zur Anwendung kommen, die einen Aufschub nicht zulassen.
Autoren:
Dominik Huber
Rechtsanwalt
Dorothea Wagner
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht
Rechtsanwälte Dr. Caspers, Mock & Partner
www.caspers-mock.de