11.11.2021Interview

“UK möchte beim Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangehen.“

Großbritannien verfolgt das Ziel, seinen Treibhausgasausstoß bis zum Jahr 2030 um mindestens 68 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 zu senken.

Das Vereinigte Königreich war in diesem Jahr Gastgeber der COP26 in Glasgow. Das Land, das erst kürzlich die Europäische Union verlassen hat, gilt Experten als Vorreiter beim Klimaschutz. So hat sich Großbritannien bereits im Jahr 2008 mit dem Climate Change Act gesetzlich zur Reduktion von Treibhausgasen verpflichtet und einen Zehn-Punkte-Plan für strengeren Klimaschutz beschlossen. Beim Klimaschutz spielt aber auch der Brexit eine Rolle. Was KMU künftig erwarten können, erklärt die britische Botschafterin in Deutschland, Jill Gallard. 

 

Dieses Interview wurde am 15.11.2021 überarbeitet.

Frau Gallard, welche Ziele verfolgt Großbritannien beim Klimaschutz?

Das Vereinigte Königreich ist bemüht, beim Klimaschutz mit gutem Beispiel voranzugehen. Seit der Verabschiedung des Climate Change Act im Jahr 2008 gab es eine Reihe signifikanter Entwicklungen: Im Jahr 2019 hat das Vereinigte Königreich beschlossen, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Im Dezember des vergangenen Jahres hat der Premierminister ein ehrgeiziges, neues Ziel verkündet, das vorsieht, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 68% gegenüber dem Wert von 1990 zu senken. Im April dieses Jahres hat sich das Vereinigte Königreich dazu bekannt, Treibhausgasemissionen bis 2035 um 78% zu reduzieren.

In seinem Zehn-Punkte-Plan für eine grüne industrielle Revolution hat der Premierminister ein innovatives Programm für grünes Wachstum und die Schaffung grüner Arbeitsplätze aufgestellt. Das Programm umfasst die Bereiche saubere Energie, Transport, Natur und innovative Technologien. Der Zehn-Punkte-Plan mobilisiert öffentliche Investitionen in Höhe von 12 Milliarden Pfund zur Förderung hochqualifizierter, grüner Arbeitsplätze und soll Anreize für private Investitionen schaffen. Damit sollen grüne Technologien, wie zum Beispiel Wasserstoff, gefördert werden und der Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotor bis zum Jahr 2030 enden.

Am 19. Oktober hat das Vereinigte Königreich auch seine lang erwartete Netto-Null-Strategie veröffentlicht. Diese Strategie beinhaltet ein umfassendes Maßnahmenbündel, mit denen wir bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen und gleichzeitig unsere Position in der Weltwirtschaft stärken. Sie zeigt auf, wie wir Treibhausgasemissionen verringern, unser Energiesystem sichern, Investitionen anreizen, Arbeitsplätze schaffen und in einer kohlenstoffarmen Wirtschaft führend sein werden. Dies umfasst jene Wirtschaftssektoren, die hauptsächlich CO2-Emissionen verursachen, nämlich Energie, Industrie, Wärme und Gebäude sowie Transport. Außerdem enthält die Strategie Maßnahmen zu natürlichen Ressourcen und Innovationen genauso wie das Bekenntnis, das britische Elektrizitätssystem bis 2035 zu dekarbonisieren.

 

Welche Chancen und Herausforderungen bedeutet der Brexit für das Erreichen der britischen Klimaziele?

Das Engagement des Vereinigten Königreichs bei der Bekämpfung des Klimawandels bleibt durch den EU-Austritt unverändert. Durch ehrgeizige rechtsverbindliche Maßnahmen im eigenen Land, internationale Zusagen zur Klimafinanzierung und klimadiplomatische Anstrengungen im Rahmen der UN-Klimakonferenz nimmt Großbritannien weiterhin eine Vorreiterrolle in diesem Bereich ein. Im Rahmen der COP26-Präsidentschaft hat das Vereinigte Königreich eng mit allen Ländern und Gruppen auf der ganzen Welt zur Erreichung der Klimaziele zusammengearbeitet – einschließlich einer starken Partnerschaft mit der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten wie Deutschland.  

 

Das Vereinigte Königreich war in diesem Jahr Gastgeber der UN-Klimakonferenz in Glasgow. Welche Rolle hat Großbritannien auf der Konferenz eingenommen?

Das Vereinigte Königreich ist sehr stolz, in Partnerschaft mit Italien, Gastgeber der diesjährigen COP26 in Glasgow gewesen zu sein.

Wir haben die Kraft einer fairen und integrativen Präsidentschaft genutzt, um Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenzubringen und zum Handeln in Schlüsselbereichen der Wirtschaft übergreifend zu bewegen. Unsere vier Hauptziele für die COP fokussierten auf Verringerung der CO2-Emissionen, Mobilisierung öffentlicher und privater Finanzmittel, Anpassung an die Folgen des Klimawandels sowie eine gesamtgesellschaftliche Zusammenarbeit. In all diesen Bereichen haben wir Fortschritte gesehen: Es gab eine Reihe von neuen Zusagen für Netto-Null-Emissionen, die uns der Einhaltung der 1,5 Grad Grenze zumindest näherbringen. Unter britischer Ägide wurden neue Allianzen gebildet und ehrgeizige Zusagen getroffen, zum Kohleausstieg, Ende der Entwaldung und Ende der Finanzierung fossiler Projekte. Der Anspruch, bei dieser Konferenz Veränderungen in der Realwirtschaft anzustoßen bzw. zu beschleunigen, ist das Wichtigste, das wir als Gastgeber einbringen konnten. Darüber hinaus ist es uns gelungen, die letzten offenen Punkte des Pariser Abkommens zu klären, sodass das Abkommen endlich umgesetzt werden kann. Insgesamt ist der Glasgow Climate Pact aus meiner Sicht als Erfolg zu werten. Die neuen Zusagen der letzten beiden Wochen müssen nun mit Nachdruck umgesetzt werden.

 

Mit dem Handels- und Kooperationsabkommen zwischen Großbritannien und der EU gehen häufig stärkere Kontrollen und ein höherer bürokratischer Aufwand für Firmen einher. Vor allem kleinere Unternehmen belastet ein zusätzlicher administrativer Aufwand. Müssen deutsche KMU künftig mit zusätzlichen Handelshemmnissen oder erschwerten Zugängen zum britischen Markt aufgrund der britischen Klimapolitik rechnen?

Die britische Regierung hat stets betont, dass es Zeit braucht, sich an neue Zollvorschriften und -verfahren zu gewöhnen. Wir glauben, dass es für Unternehmen besser ist, sich zunächst auf den Weg aus der Pandemie zu konzentrieren, weshalb unsere Regierung ihnen mehr Zeit für die Vorbereitung auf neue Kontrollen eingeräumt hat. 

Aber nicht nur das. Wir haben eine Vielzahl von Beratungsstellen, E-Mail-Diensten und Foren für individuell zugeschnittene Beratung eingerichtet. Wir haben umfangreiche Webinar-Serien mit Fachleuten aus allen Sektoren veranstaltet, zusätzlich auch eine Reihe von Veranstaltungen speziell für deutsche Unternehmen. All diese Maßnahmen zielen auf die Unterstützung europäischer und deutscher KMU ab, damit diese weiterhin von den Möglichkeiten des britischen Markts profitieren können.  

Schlussendlich glauben wir, dass die politischen Maßnahmen der UK Netto-Null-Strategie, die unter anderem Klimaneutralität bis 2050 vorsieht, eine Vielzahl von Möglichkeiten für deutsche KMU bieten werden, sodass sich der anfängliche Mehraufwand auszahlen wird. Der Zehn-Punkte-Plan des Premierministers für eine grüne industrielle Revolution wird öffentliche Investitionen in Höhe von 12 Milliarden Pfund mobilisieren und potenziell die dreifache Summe aus dem Privatsektor freisetzen, was zu einer ganzen Reihe von Möglichkeiten für deutsche Unternehmen im kohlenstoffarmen Sektor führt – mit einer soliden Projektpipeline und stabilen rechtlichen Rahmenbedingungen. 

Zur Umsetzung des Plans wurden in diesem Jahr eine Reihe von Strategien gestartet. So zielt zum Beispiel die britische Strategie zur Dekarbonisierung der Industrie vom März dieses Jahres darauf ab, den weltweit ersten kohlenstoffarmen Industriesektor zu schaffen, wobei mehr als 1 Milliarde Pfund zur Emissionssenkung in Industrie und in öffentlichen Gebäuden wie Schulen, Krankenhäusern und Gemeindegebäuden bereitgestellt werden.

Die im August vorgelegte Wasserstoffstrategie der britischen Regierung, die bis 2030 eine Produktionskapazität von 5 Gigawatt kohlenstoffarmen Wasserstoffs vorsieht, wird die Produktion steigern und Anreize für Innovationen schaffen, um Verkehr, Energie und Industrie zu dekarbonisieren.

Im Oktober 2021 wurde schließlich die Wärme- und Gebäude-Strategie eingeführt, um sich der CO2-Emissionen der ca. 30 Millionen Gebäude im Vereinigten Königreich, die fast 25 Prozent des Gesamtausstoßes ausmachen, zu widmen. Schließlich wurde im Oktober auch die UK Netto-Null-Strategie gestartet, um Unternehmen ein klares Marktsignal und Sicherheit für Investitionen, Wachstum und den Bau ehrgeiziger neuer Projekte in Großbritannien zu geben.

 

Welche Weichenstellungen sollten deutsche KMU mit Blick auf den britischen Weg in Richtung Klimaneutralität vornehmen?

Die Implementierung von Maßnahmen gegen den Klimawandel hilft KMU dabei, zu wachsen. Ihnen bieten sich dadurch neue Chancen. Chancen etwa, neue Arbeitsplätze zu schaffen, Investitionen zu fördern und sich an die Herausforderungen eines sich verändernden Planeten anzupassen. Kurzum: KMU sichern sich durch Maßnahmen gegen den Klimawandel Wettbewerbsvorteile – und dies sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene.

Im vergangenen Mai haben Premierminister Boris Johnson und Wirtschafts- und Energieminister Kwasi Kwarteng deshalb gemeinsam an alle kleinen und mittleren Unternehmen im Vereinigten Königreich appelliert, kleine, praktische Schritte zu unternehmen, um die eigenen Emissionen zu senken. Dies ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum britischen Ziel, bis 2050 CO2-Neutralität zu erreichen. Dafür wurde Unternehmen das UK Business Climate Hub an die Seite gestellt, um KMU auf ihrer Reise zu Netto-Null-Emissionen praktisch zu unterstützen. Die Anmeldung beim Hub ist zwar nur für britische Unternehmen möglich, aber auch deutsche KMU können den Hub nutzen, um praktische Tools, Ressourcen und Ratschläge zu finden, um ihre CO2-Emissionen besser messbar zu machen und einen Plan zu ihrer Bekämpfung zu entwickeln, sowie um Ideen für mögliche praktische Umsetzungsschritte zu geben.

 

In der klimapolitischen Debatte in Großbritannien ist von „Clean Growth“ und „Green Industrial Revolution“ die Rede. Was kann man sich unter diesen Begriffen vorstellen?

„Clean Growth“ beziehungsweise „Sauberes Wachstum“ bedeutet für das Vereinigte Königreich in Essenz die Chance, unser Nationaleinkommen zu steigern und gleichzeitig die Treibhausgasemissionen zu senken und damit unsere Klimaverpflichtungen zu erfüllen.

Die Verbindung von sauberem Wachstum und einer sicheren und erschwinglichen Energieversorgung für Unternehmen und Verbraucher steht im Mittelpunkt der britischen Industriestrategie. Ziel ist es dabei, die Produktivität zu steigern, gute Arbeitsplätze zu schaffen, die Ertragskraft im ganzen Land zu steigern und gleichzeitig das Klima und die Umwelt zu schützen, auf die wir und natürlich auch zukünftige Generationen angewiesen sind.

Clean Growth basiert somit auf der festen Überzeugung, dass Maßnahmen zur Reduzierung unserer CO2-Emissionen eine faktische Win-Win-Situation sein können: Senkung der Verbraucherpreise, Förderung des Wirtschaftswachstums, Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze und ein Beitrag zur Verbesserung unserer Lebensqualität. Die „Green Industrial Revolution“ („Grüne Industrielle Revolution“), wie sie Premierminister Johnson in seinem Zehn-Punkte-Plan dargelegt hat, ist praktisch der Weg, mit dem Großbritannien sein Netto-Null-Ziel erreichen wird. Dazu gehört eine öffentliche Investitionsoffensive, um hochqualifizierte grüne Arbeitsplätze zu schaffen. Aber auch private Investitionen sollen bis zum Jahr 2030 mehr als verdreifacht werden. Im Zentrum der Strategie stehen dabei die industriellen Kerngebiete Großbritanniens, darunter die Regionen „North East“, Yorkshire and the Humber, die West Midlands, sowie Schottland und Wales. Dort werden wir die grüne industrielle Revolution vorantreiben und grüne Arbeitsplätze und die Industrien der Zukunft aufbauen.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Gallard!

Dieses Interview ist Teil der Beitragsserie Internationale Klimapolitik

 

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