04.04.2022Interview

„Jetzt klaut uns der Bundestag die Fachkräfte“

Frischer Wind weht durch das politische Berlin. Fast 40 Prozent der aktuellen Bundesabgeordneten sind neu im Parlament. Doch wer von den „Neuen“ kennt den Mittelstand aus erster Hand und kann Praxiserfahrungen in die parlamentarische Arbeit einbringen?

Muhanad Al-Halak (32, FPD) ist Mitglied des Bundestags und einer der wenigen Nicht-Akademiker im Parlament. Der 32-Jährige kam 2001 als elfjähriges Kind mit seinen Eltern aus dem Irak nach Grafenau in Niederbayern. Nach der Schule absolvierte er eine Ausbildung zum Abwassertechniker, schließt eine Weiterbildung als Abwassermeister an und wird zum stellvertretenden Betriebsleiter befördert. Über die Landesliste der FDP Bayern konnte er knapp in den 20. Bundestag einziehen und berichtet im DMB-Interview von seiner eigener Motiviation sowie seinen ersten Erfahrungen im politischen Berlin.

DMB: Lieber Herr Al-Halak, welchen Stellenwert hat das deutsche Handwerk für Sie persönlich?

Al-Halak: Meine Familie ist aus dem Irak nach Deutschland ausgewandert als ich elf Jahre alt war. Nach dem Erhalt der mittleren Reife hat mich die Möglichkeit einer Ausbildung in einem umwelttechnischen Beruf besonders interessiert. Im Handwerk ist jeder Tag anders, vielfältig und sehr lebendig. In meinem Fall war der Mix aus Chemie, Biologie und Elektrotechnik in der Abwassertechnik sehr spannend. Nach der Ausbildung wurde ich zum Abwassermeister ausgebildet, anschließend arbeitete ich als stellvertretener Betriebsleiter. Leider verspüren viele junge Menschen den Druck unbedingt studieren zu müssen, was sehr schade ist. Wir müssen den jungen Menschen die Aufstiegschancen im Handwerk besser vermitteln. Ich setze mich mit meiner Geschichte stark dafür ein und werbe kontinuierlich dazu auf meinen Social Media-Kanälen (Facebook, Instagram, Twitter).

Sie haben Ihren Beruf im Handwerk verlassen und arbeiten nun in der Politik. Warum?

Neben meiner beruflichen Karriere habe ich schon früh ein politisches Interesse entwickelt.  Die FDP ist mir positiv aufgefallen, als Christian Lindner eine Rede zu den Aufstiegsmöglichkeiten in Deutschland durch die eigene Leistung hielt. Damit konnte ich mich zu einhundert Prozent identifizieren. Mit meinem zuerst ehrenamtlichen Engagement in der Politik wollte ich Deutschland etwas zurückgeben, da meine Familie und ich hier so toll aufgenommen wurden. Bei meiner ersten Kommunalwahl habe ich direkt den Gang in den Stadtrat geschafft. Dadurch bin ich in der FDP aufgefallen. Durch die sehr positive Zusprache innerhalb der Partei erklärte ich mich bereit, für die Bundestagswahl zu kandidieren. Seit 31 Jahren hatten wir keinen Abgeordneten aus meiner Stadt (Grafenau, Anm. d. Red.), von der FDP gab es noch nie jemanden.

Ich freute mich natürlich, als klar war, dass ich knapp über die Landesliste in den Bundestag einziehen werde. Ich war aber auch sehr traurig, als ich mein Büro in meiner Arbeitsstelle ausräumen musste, bei meinen Kollegen und mir flossen einige Tränen. Wir konnten noch gemeinsam eine Nachfolge für mich finden, was aber nicht einfach war. Der Bürgermeister von Grafenau sagte danach öffentlich im Spaß „jetzt klaut uns der Bundestag die Fachkräfte“. Jetzt nutze ich meine neue Rolle, um das Handwerk zu fördern. Zur Not gehe ich einfach dorthin zurück.

Der angesprochene Fachkräftemangel ist ein großes Problem im Handwerk. Was kann dagegen getan werden?

Ich kenne die Schwierigkeiten des Fachkräftemangels besonders im ländlichen Raum. In meinem Wahlkreis wird mir immer wieder von Betrieben darüber berichtet. Neben der Förderung der beruflichen Ausbildung bin ich davon überzeugt, dass die Integration von internationalen Fachkräften noch besser gelingen kann. Bei diesem Thema will ich mich aktiv in der Arbeit im Bundestag einbringen. Dieses Thema wird auch im Ausschuss für Inneres und Heimat thematisiert, in dem ich stellvertretendes Mitglied bin.

Ich will mich auch dafür einsetzen, dass wir ein modernes Einwanderungsrecht bekommen. Die Regeln müssen verständlich und unkompliziert sein – etwa über ein Punktesystem. So ein Einwanderungsrecht macht Deutschland für Fachkräfte aus dem Ausland auch attraktiver, weil es verständlich und verlässlich ist und dringend benötigten Fachkräften unkompliziert Wege in den Arbeitsmarkt ermöglicht.

Was muss aus Ihrer Sicht außerdem besser für Unternehmen werden?

Der erste Schritt muss klar die Digitalisierung sein, wir haben dabei großen Rückstand. Ich finde aber, dass die Digitalisierung die Grundlage für unsere Wettbewerbsfähigkeit ist. Wir müssen massive Investitionen in den Digitalausbau ermöglichen, damit wir echten Bürokratieabbau und Vereinfachungen in den Verwaltungen auch umsetzen können. Und aus meiner ehemaligen Arbeit weiß ich, wie sehr wir uns für den Bürokratieabbau einsetzen müssen. Beispielsweise weiß ich noch genau, wie viel Papierkram ich erledigen musste, bis man im öffentlichen Dienst Aufträge an dritte Unternehmen vergeben konnte. Ich finde, da verspielen wir viel zu viel – oft, weil digitale Lösungen auch gar nicht vernünftig umgesetzt werden können.

Wie wurden Sie im Bundestag aufgenommen?

Bis jetzt habe ich nur positive Kontakte im Bundestag erlebt. Als Nicht-Akademiker mit Berufsausbildung wird man hier respektiert, da man andere Qualitäten mitbringt. Ich komme aus der Praxis und bin weniger Theoretiker. Diese Erfahrungen aus der Praxis versuche ich jeden Tag einzubringen. Die Mehrheit der Deutschen sind keine Akademiker, deswegen sollte dieser Teil der Bevölkerung auch adäquat im Bundestag vertreten sein.

Es prasselt momentan natürlich viel auf mich ein. Ich versuche schnell zu lernen und so viel wie möglich mit erfahrenen Abgeordneten zu reden. Mittlerweile kenne ich alle Abgeordneten meiner Fraktion und mache mit dem Kennenlernen jetzt bei den anderen Fraktionen weiter.

Herr Al-Halak, vielen Dank für das nette Gespräch und viel Erfolg für Ihre Arbeit im Bundestag!

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