18.08.2023MonitoringDMB+

Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung

Worum geht es bei dem Gesetzesvorhaben?

Die Bundesregierung möchte mit der Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes dafür sorgen, dass ausländische Fachkräfte einfacher nach Deutschland einreisen können, um hier erwerbstätig zu sein oder eine Ausbildung zu absolvieren.

Im Wesentlichen soll es drei Wege für die Fachkräfteeinwanderung geben: Qualifikation, Erfahrung und Potenzial

Dazu werden die Regelungen für die Blaue Karte EU, einem Aufenthaltstitel für Hochschulabsolventen aus Nicht-EU-Staaten, angepasst und erweitert. Inhabern der Blauen Karte EU soll es künftig erleichtert werden, den Arbeitgeber zu wechseln. Außerdem sollen Regelungen zur Mobilität innerhalb der EU für Inhaber der Blauen Karte EU geschaffen werden, wenn der Aufenthaltstitel in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ausgestellt wurde. Auch der Nachzug von Familienangehörigen sowie die Erlaubnis zu einem dauerhaften Aufenthalt in der EU soll für Inhaber der Blauen Karte EU erleichtert werden. Außerdem soll die Dauer der notwendigen Berufserfahrung sowie für Regelberufe auch die erforderliche Gehaltsschwelle auf 50 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung sinken. Diese neue Mindestgehaltsschwelle läge laut Begründung im laufenden Jahr bei 43.800 Euro brutto im Jahr.

Für IT-Spezialisten herrscht derzeit ein großer Fachkräftebedarf auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Sie können künftig auch die Blaue Karte EU erhalten, wenn sie zwar keinen Hochschulabschluss, dafür aber bestimmte nicht formale Qualifikation besitzen. Informatiker müssen künftig auch keine Deutschkenntnisse mehr nachweisen.

International Schutzberechtigte, die ihren Schutzstatus in der EU erhalten haben, sollen künftig ebenfalls eine Blaue Karte EU erhalten können. Der Wechsel in Aufenthaltstitel zu Erwerbs- oder Bildungszwecken werde gewährleistet, um neue Potenziale geeigneter Arbeitnehmer für den deutschen Arbeitsmarkt zu erschließen, denen bislang die Arbeitsplatzsuche nicht möglich war. Asylbewerber, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind sowie unter anderem eine entsprechende Qualifikation und ein Arbeitsplatzangebot haben oder sich bereits in einem entsprechenden Arbeitsverhältnis befinden, sollen ihr Asylverfahren durch Antragsrücknahme beenden und eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft beantragen können, ohne zuvor auszureisen und ein Visumverfahren durchlaufen zu haben.

Eine Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems soll Personen mit ausländischem, mindestens zweijährigem Berufs- oder Hochschulabschluss ermöglichen, in Deutschland nach Arbeit zu suchen. Auswahlkriterien des Punktesystems sind Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug. Laut Gesetzentwurf bietet die Chancenkarte auch Möglichkeiten zur Probearbeit oder Nebenbeschäftigung.

Für vorqualifizierte Personen aus Nicht-EU-Staaten soll es attraktiver gemacht werden, einen in Deutschland anerkannten Abschluss zu erlangen, indem eine neue Aufenthaltserlaubnis für eine Anerkennungspartnerschaft eingeführt wird. Das Anerkennungsverfahren soll dazu erst im Inland begonnen und zügig durchgeführt werden können. Im Gegenzug kann eine Fachkraft bereits vom ersten Tag an in Deutschland eine existenzsichernde Beschäftigung aufnehmen.

Die Westbalkan-Regelung, die Staatsangehörigen von Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Republik Nordmazedonien, Montenegro und Serbien einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt eröffnet, soll entfristet und das Kontingent verdoppelt werden. In einem gemeinsam mit dem Gesetzentwurf vom Bundestag angenommenen Entschließungsantrag der Koalitions-Fraktionen wird die Westbalkan-Regelung außerdem zu einem Teil des Instrumentenkastens für Migrationsabkommen. Die Regelung könne Bestandteil der jeweils zu verhandelnden Migrationsabkommen der Bundesregierung sein, heißt es in der Entschließung. Wenn mit einem Staat ein Migrationsabkommen mit der analogen Anwendung der Westbalkan-Regelung geschlossen wird, soll der Entschließung zufolge „das von der Bundesregierung verhandelte Kontingent nicht auf das bestehende Kontingent der Westbalkan-Staaten angerechnet und per Verordnung umgesetzt“ werden.

Durch das Gesetz soll es für Menschen aus Drittstaaten auch attraktiver werden, ein Studium in Deutschland aufzunehmen. Dazu wird die Sicherung des Lebensunterhaltes durch erweiterte Möglichkeiten der Nebenbeschäftigung erleichtert. Zusätzlich werden einige Verbote von Nebentätigkeiten, insbesondere beim Besuch eines Sprachkurses aufgehoben. Ausländische Auszubildende und Studierende sollen ihren Aufenthalt fortsetzen können, wenn sie die Voraussetzungen für eine qualifizierte Beschäftigung schon vor Abschluss ihrer Ausbildung oder ihres Studiums in Deutschland erfüllen.

In welchem Stadium befindet sich das Vorhaben?

Der Bundestag hat am 23. Juni 2023 den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung verabschiedet. Der Bundesrat hat diesen Gesetzesbeschluss am 7. Juli 2023 durch Verzicht auf ein Vermittlungsverfahren gebilligt. Am 18. August 2023 wurde das Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet.

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Hintergrund

Der Arbeitsmarkt ist bereits heute in vielen Bereichen von einem Mangel an verfügbaren Arbeits- und Fachkräften geprägt. Auch in der Berufsausbildung zeigen sich zunehmende Schwierigkeiten, Ausbildungsplätze zu besetzen. Die langfristigen und tiefgreifenden
Transformationsprozesse der Digitalisierung, des demografischen Wandels sowie der Energiewende verändern mit zunehmender Dynamik den Wirtschaftsstandort Deutschland. Den Fachkräftebedarf der Unternehmen in Deutschland zu sichern und zu erweitern, ist entscheidend für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. 

Dabei fehlen Hochschulabsolventen und zunehmend auch Fachkräfte mit einem beruflichen Abschluss sowie erfahrene Arbeitskräfte. Fachkräfteengpässe betreffen Unternehmen in einer Vielzahl von Branchen und Regionen und zeigen sich zum Beispiel in Gesundheits- und Pflegeberufen, bei der Kinderbetreuung, in der IT-Branche, in Bau- und Ausbauberufen sowie in vielen weiteren Produktions- und Dienstleistungsberufen. Die Zahl offener Stellen lag nach Angaben der Bundesregierung im 4. Quartal 2022 bei rund 1,98 Millionen. Die demografische Entwicklung, wonach die geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1970 nach und nach aus dem Erwerbsleben ausscheiden, wird diese Entwicklung noch weiter verstärken. Die Bundesagentur für Arbeit geht deshalb davon aus, dass Deutschland künftig auf eine jährliche Zuwanderung von 400.000 Arbeits- und Fachkräften angewiesen ist.

Laut Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung bei ihrer Fachkräftestrategie zwar weiterhin in erster Linie auf inländische und innereuropäische Potenziale (z. B. soll die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren erhöht und die Aus- und Weiterbildung gestärkt werden), um den Arbeits- und Fachkräftebedarf zu sichern. Da dies jedoch nicht ausreicht, um den gesamten Bedarf zu decken, sollen drittstaatsangehörige Fachkräfte für eine Erwerbsmigration nach Deutschland gewonnen werden und ihnen dafür ein rechtmäßiger Aufenthalt gewährt werden. Noch immer halten aber bürokratische Hürden und geforderte Deutschkenntnisse viele Arbeits- und Fachkräfte davon ab, sich für eine Einwanderung nach Deutschland zu entscheiden. Dies möchte die Bundesregierung mit ihrer Reform ändern.

Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das zum 1. März 2020 in Kraft trat, wurden bereits Erleichterungen für die Gewinnung von Fachkräften aus dem nicht-europäischen Ausland geschaffen, insbesondere auch für Menschen mit einer Berufsausbildung. Durch die zu diesem Zeitpunkt einsetzende Corona-Pandemie und die damit verbundenen zeitweisen Einreisebeschränkungen konnte es seine Wirkung nach Einschätzung der Bundesregierung allerdings nicht voll entfalten. Obwohl die erleichterten Regelungen zur Erwerbsmigration angenommen werden, hat sich außerdem gezeigt, dass eine bedarfsgerecht steigende Einwanderung von
Fach- und Arbeitskräften zusätzliche Anstrengungen erfordert, einschließlich weiterer gesetzlicher Erleichterungen beim Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.

Welches Ziel verfolgt die Bundesregierung mit diesem Gesetzesvorhaben?

Die Bundesregierung möchte mit dem Gesetzesvorhaben entsprechend den Bedarfen des Wirtschaftsstandortes Deutschland ein Signal des Willkommens und der Dienstleistung an Fachkräfte senden. Es soll in ein frühes Integrationsangebot investiert werden. Insbesondere sollen Fachkräfte gewonnen werden, indem der Rechtsrahmen für eine gezielte und gesteuerte Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten weiterentwickelt wird. Auf dem langfristig positiven Entwicklungspfad der Fach- und Arbeitskräfteeinwanderung aufbauend, sollen die Zahlen für die Erwerbseinwanderung deutlich erhöht werden.

Warum ist das Gesetzesvorhaben relevant für KMU / den Mittelstand?

Der Fachkräftemangel ist bereits heute eine der zentralen Herausforderungen kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU). Regelmäßige Umfragen des Deutschen Mittelstands-Bundes (DMB) ergaben, dass die Mitglieder den anhaltenden Fachkräftemangel heute zu den Top-5 Herausforderungen von KMU zählen. Im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen der Ampel-Regierung erachteten 86 Prozent den Abbau von Hürden für den Zuzug von Fachkräften als wichtigen Punkt für den Koalitionsvertrag.

Wichtige Daten und Ereignisse

Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf am 29. März 2023 verabschiedet und anschließend an Bundestag und Bundesrat übersandt. Der Bundestag debattierte am 27. April 2023 in erster Lesung über den Gesetzentwurf und überwies ihn anschließend zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Inneres und Heimat. Am 23. Juni 2023 hat der Bundestag in zweiter und dritter Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung beraten und ihn verabschiedet. Der Bundesrat hat diesen Gesetzesbeschluss am 7. Juli 2023 durch Verzicht auf ein Vermittlungsverfahren gebilligt. Am 18. August 2023 wurde das Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet.

Die DMB-Bewertung

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Um den derzeitigen und künftigen Arbeits- und Fachkräftebedarf zu decken, ist die deutsche Wirtschaft auf Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Daher ist es wichtig, dass die Bundesregierung die Rahmenbedingungen für die Zuwanderung von Arbeits- und Fachkräften aus dem Nicht-EU-Ausland reformiert. Ein Punktesystem zur Einwanderung, wie es in Form der Chancenkarte eingeführt werden soll, hat sich bereits in anderen Einwanderungsländern wie zum Beispiel Kanada bewährt.

Positiv ist auch zu bewerten, dass bestehende Gehaltsschwellen für die Zuwanderung von Personen in Regel- und Engpassberufen deutlich abgesenkt werden und künftig eine niedrige Mindestgehaltschwelle für ausländische Berufsanfänger mit akademischem Abschluss geschaffen wird.

Die Einführung einer neuen Aufenthaltserlaubnis für eine Anerkennungspartnerschaft erlaubt es vorqualifizierten Personen aus dem Nicht-EU-Ausland, einen in Deutschland anerkannten Abschluss zu erlangen. Da das Anerkennungsverfahren erst beginnen soll, wenn die Person schon nach Deutschland gekommen ist und sie bereits vom ersten Tag an hierzulande einer existenzsichernden Beschäftigung nachgehen kann, verzögert das Anerkennungsverfahren nicht mehr die Aufnahme der Tätigkeit.

Gesetzliche Rahmenbedingungen, die die Zuwanderung von Arbeits- und Fachkräften erleichtern, sind allerdings nur eine Seite. Wie diese Veränderungen allerdings umgesetzt werden können, hängt auch von der Ausstattung und den Verhältnissen in der Verwaltung ab. Damit Deutschland zu einem bevorzugten Ziel für viele Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland wird, benötigt es außerdem eine Kultur der Weltoffenheit, zu der alle Teile der Gesellschaft beitragen müssen.

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