“Hitze ist die größte klimawandelbedingte Bedrohung für unsere Gesundheit”
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollten sich und ihre Beschäftigten auf künftige Hitzewellen gut vorbereiten.
Im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) haben das Centre for Planetary Health Policy (CPHP) und die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG e.V.) das Gutachten „Klimawandel und Gesundheit – Auswirkungen auf die Arbeitswelt” veröffentlicht. Der DMB spricht im Interview mit der geschäftsführenden Direktorin des CPHP, Maike Voss, über das Gutachten und die Auswirkungen der Klimafolgen auf die Gesundheit von Beschäftigten am Arbeitsplatz.
DMB: Frau Voss, warum ist das Thema Klimawandel und Gesundheit relevant für Unternehmerinnen und Unternehmer?
Der Klimawandel hat bereits heute multiple Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Das sehen wir in Form zerstörter Infrastruktur, wie beispielsweise bei der Flut im Ahrtal. Wir erkennen es aber auch an den Gefahren für die Gesundheit von Arbeitnehmer:innen und Arbeitgebenden. Vor allem die Hitze ist sehr bedrohlich und hat verschiedene negative Auswirkungen auf den Körper, besonders bei vulnerablen Gruppen wie Schwangeren oder Beschäftigten mit Vorerkrankungen. Hitze ist die größte klimawandelbedingte Bedrohung für die Gesundheit in Deutschland und Europa, vor allem in hochversiegelten Ballungsräumen, wie Städten oder Industriegebieten. Die Folgen beeinflussen aber den Arbeitsalltag aller Menschen. Hitze wirkt sich auf die Gesundheit und Produktivität aus, verstärkt aber auch Alkoholkonsum und aggressives Verhalten. Durch die Zunahme negativer gesundheitlicher Auswirkungen wird das Gesundheitssystem stärker belastet, was zum einen Folgen für die medizinische Versorgung haben kann und zum anderen Bedienstete im Gesundheitswesen einer Doppelbelastung aussetzt, denn während Heißwetterperioden ist Gesundheitspersonal selbst gesundheitlich betroffen und zudem steigt die Zahl der zu versorgenden Menschen. Hitze wird somit zu einem wichtigen Thema für das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM).
Daneben nimmt auch die krebserregende UV-Strahlung zu, die jene Beschäftigte trifft, die unter freiem Himmel arbeiten, wie zum Beispiel in der Landwirtschaft oder auf dem Bau. Auch ist damit zu rechnen, dass bei uns bislang noch nicht verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria oder das West-Nil-Virus nach Deutschland gelangen werden. Aktuell ist diese Problematik beispielsweise schon an der Zeckenwanderung und von Zecken übertragbaren Krankheiten zu beobachten. Auch länger andauernder Pollenflug aufgrund milderer Winter wird die Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Allergiker:innen beeinträchtigen. Nicht zuletzt ist an die mentale Gesundheit zu denken. Der Klimawandel kann bestehende psychische Erkrankungen verstärken und mit der Klimaangst tritt gerade bei jüngeren Menschen immer häufiger ein durch den Klimawandel ausgelöstes Krankheitsbild auf. Alle der über 45 Millionen Beschäftigten in Deutschland sind in gewisser Weise von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen und für viele wird dies zu einem grundlegenden Problem. Europa ist der Kontinent, der sich durch den Klimawandel am meisten aufheizt. Wir werden längere und stärkere Hitzewellen erleben und darauf müssen wir gut vorbereitet sein.
Welche Rolle kommt dem Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) künftig zu?
Das BGM ist von großer Bedeutung in der Kommunikation mit den Beschäftigten. Es ist in einigen Unternehmen ein bisher leider eher vernachlässigter Arbeitsbereich, was sich dringend ändern muss. Mithilfe des BGM kann die eigene Arbeitspraxis überprüft werden, um die Klimafolgenanpassungen, die schon vorhanden sind, oder noch gebraucht werden, zu veranschaulichen. Beispiele sind Beschattung von Büroräumen oder Versorgung mit Getränken. Aber auch die Einflussnahme auf den Klimaschutz ist wichtig. Unternehmen sollten beispielsweise einen Blick darauf werfen, wie ihre Angestellten zur Arbeit kommen. Fahren sie mit dem Rad? Bieten wir als Unternehmen die Möglichkeiten dafür? So kann durch den Klimaschutz auch positiv Einfluss auf den Umgang mit den Klimafolgen genommen werden. Wir sprechen von „Co-Benefits“, so genannten Mehrgewinnen. Mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren ist gut für die Gesundheit und für das Klima. Auch die Ernährung kann eine wichtige Rolle spielen. Eine primär pflanzenbasierte Ernährung kann gut für beides sein. Das Gesundheitsargument kann somit auch ein Hebel für die Gesamttransformation sein.
Sie schreiben in Ihrem Gutachten, dass Klimaschutz und -anpassung Führungsaufgaben sind. Welche Anforderungen stellt der Klimawandel an Führungskräfte?
In vielen Unternehmen wird der Tatendrang der Bediensteten, etwas zugunsten ihrer Gesundheit am Arbeitsplatz zu verändern, durch betriebsinterne Hürden ausgebremst. Es braucht immer auch die Bereitschaft der Geschäftsführung, die Problematik anzugehen und positiven Einfluss auszuüben. Es gibt mit der Zeit mehr und mehr Positivbeispiele. Ein gutes Praxisbeispiel ist die Deutsche Post. Sie lässt ihre Postboten während Hitzewellen nur noch mit Kühlwesten und Kühlschals fahren, um sie zu schützen. Dazu muss man auch sagen, dass viele Maßnahmen kostenlos oder kostengünstig umsetzbar sind. Aber gerade wenn es zu Kosten in der betrieblichen Umsetzung kommt, muss beispielsweise Hitzeschutz auch Führungsaufgabe sein.
In kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sind die finanziellen und zeitlichen Ressourcen häufig begrenzt. Welche Maßnahmen können Unternehmen schnell und einfach umsetzen, um ihre Beschäftigten vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen?
Vorgehen und Maßnahmen sollten individuell für jedes Unternehmen zugeschnitten sein. Das macht eine Verallgemeinerung schwierig. Die kürzlich in der Öffentlichkeit diskutierte Siesta in der Mittagszeit zum Beispiel kann in manchen Branchen sinnvoll sein, aber wahrscheinlich ist sie nicht für alle Unternehmen umsetzbar. Mittlerweile beschäftigen sich viele Menschen mit dem Thema und versuchen, Lösungen voranzutreiben. Es hilft daher ungemein, ins Gespräch mit den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu kommen, denn die besten Ideen kommen häufig von den Betroffenen selbst. Daher ist eine gute interne Kommunikation im Unternehmen sehr wichtig. Gesundheit kann dabei als Zugang zur Thematik Klimawandel genutzt werden, da die Auswirkungen real spürbar sind. Auch das Nutzen von Netzwerken, wie Sie es beim DMB zum Austausch und Informationsfluss anbieten, kann helfen. Informationsangebote und Netzwerkmöglichkeiten, wie die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, können ebenfalls von KMU genutzt werden.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Voss!
Dieses Interview ist Teil von Mittelstand WISSEN zum Thema "Arbeitswelt von morgen".