29.11.2023Fachbeitrag

Zeit für Familie

Beschäftigte mit Pflegeverantwortung für alte Menschen haben einen anderen Zeitbedarf als Eltern in der frühen Familienphase oder mit Kindern im Grundschulalter.

Die gelungene Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eines der zentralen Elemente der Mitarbeiterbindung. Berufstätige Eltern oder Beschäftigte mit Pflegeverantwortung, die merken, dass im Betrieb Rücksicht auf ihre Zeitbedarfe genommen wird, sind loyal, motiviert und leistungsbereit. Mehr Zeit für die Familie bedeutet aber nicht immer eine Reduzierung der Arbeitszeit wie die viel diskutierte Vier-Tage-Woche. Denn nicht immer ist dies betrieblich oder aus der Sicht der Beschäftigten (finanziell) möglich bzw. auch nicht erforderlich. Der Zeitbedarf kann auch häufig durch eine punktuelle und befristete Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung erfüllt werden.

Fast 90 Prozent der Beschäftigten, die sich eine Vier-Tage-Woche wünschen, geben als Hauptgrund mehr Zeit für Familie an.1 Die aktuelle Debatte um die Vier-Tage-Woche basiert auf der Vorstellung, dass eine verkürzte Arbeitswoche immer ein Gewinn für die Vereinbarkeit ist. Aber bei der Frage nach dem „Mehr“ an Zeit für Familie sollte viel stärker auch das „Wann“ berücksichtigt werden. Denn die Lösung „One-size fits all“ gibt es nicht – die gute Nachricht ist: das muss auch nicht sein.

Warum?

Neben der Arbeitszeit bestimmen auch andere Taktgeber die Zeit von Familien. Die Hol- und Bringzeit im Kindergarten, der Stundenplan der Schule und die Öffnungszeiten von Geschäften oder der Öffentliche Nahverkehr bestimmen den Zeitbedarf von Familien jeden Tag. Und manchmal kommen auch noch besondere Situationen hinzu, wie beispielsweise ein krankes Kind oder die Schließung der Kita wegen der Erkrankung der Erzieherin.

Eltern in der frühen Familienphase haben direkt nach der Geburt also andere Zeitbedarfe als Familien mit Kindern in der Grundschule. Beschäftigte mit Pflegeverantwortung für alte Menschen stehen wieder vor anderen zeitlichen Herausforderungen als Eltern mit einem pflegebedürftigen Kind.

Um diesen tagtäglichen Herausforderungen gerecht zu werden, können kleine und mittlere Unternehmen (KMU) verschiedene Stellschrauben bei der Arbeitszeitgestaltung nutzen, um ihren Beschäftigten Zeit für Familie bedarfsgerecht zu ermöglichen.

Wer braucht wann was? Maßnahmen für eine zuverlässige Vereinbarkeit durch Zeit für Familie:

  • Nach der Geburt eines Kindes ändert sich für Paare gefühlt alles. Die junge Familie braucht Zeit für den Beziehungsaufbau und die Gewöhnung an einen Alltag mit Kind. Und eine gemeinsame Zeit direkt nach der Geburt stärkt die von vielen Elternpaaren gewünschte partnerschaftliche Arbeitsteilung. Studien zeigen, dass Eltern mit einer partnerschaftlichen Aufgabenverteilung überdurchschnittlich zufrieden mit ihrem Familienleben sind und häufiger von einer gelungenen Vereinbarkeit berichten. Sie können dies schon durch ein paar Tage Sonderurlaub für den Vater direkt nach der Geburt stärken und wertvolle Zeit für Familie schaffen.
     
  • Der Wiedereinstieg nach der Elternzeit ist für Eltern oftmals ein Zeitraum, der Freude und Sorgen zugleich auslöst. Endlich wieder berufliche Verantwortung übernehmen, in den Betrieb zu kommen und sich mit Kolleginnen und Kollegen persönlich und fachlich auszutauschen, sehnen viele herbei. Aber wird auch alles mit der Tagesmutter klappen? Und was ist, wenn die Eingewöhnung des Kindes in der Kita mehr Zeit braucht? Mit einem Gleitzeitmodell oder individuell flexibel vereinbarten Anfangs- und Endzeiten können Sie hier eine Menge Druck herausnehmen. Zeigen Sie Verständnis für einen holprigen Einstieg und besprechen Sie Lösungen schon vor der Rückkehr. Für eine befristete Lösung können Sie mit einem Teilzeitkorridor, der für einen abgestimmten Zeitraum eine flexible Reduktion bzw. Aufstockung der Arbeitszeit z. B. um 20 % ermöglicht, hilfreich unterstützen.     
     
  • Nahezu alle Eltern von Kindern in der Grundschule können ein Lied von Unterrichtsausfall, späterem Unterrichtsbeginn oder freien Tagen aufgrund von Lehrerkonferenzen singen. Unkomplizierte und vor allem vorbesprochene Ausnahmeregelungen für eine Arbeitszeitunterbrechung oder Home-Office sind dabei eine große Unterstützung. Ein weiterer „Knackpunkt“ für berufstätige Eltern sind die Schulferien. Zum einen ist es für Eltern, die beide berufstätig sind, wichtig, gemeinsame Urlaubszeiten abstimmen zu können. Dabei helfen Zeitfenster in den Schulferien, die zunächst von Eltern für Urlaub beansprucht werden können. Ein Ferienbetreuungsangebot, das zum Beispiel in Kooperation mit der Kommune angeboten werden kann, ist eine wichtige Ergänzung.
     
  • Die beste Betreuungsplanung funktioniert nicht mehr, wenn das Kind krank ist. In manchen Fällen kann das Homeoffice eine gute Lösung sein. Aber manchmal braucht es auch die volle Zuwendung von Mutter oder Vater. Dann sind die Kinderkrankentage eine wichtige gesetzlich geregelte Lösung. Machen Sie sich selbst mit den aktuellen Regelungen vertraut.
     
  • Pflegeverantwortung ergibt sich für viele Beschäftigte meist plötzlich und ungeplant. Die Möglichkeit, die Arbeitszeit flexibel zu reduzieren und wieder aufzustocken, senkt in dieser sowieso schon angespannten Situation die Belastung. Beschäftigte haben einen gesetzlichen Anspruch auf 10 Tage unbezahlte Freistellung für die Organisation der Pflege. Mit einer Freistellung über diese Tage hinaus oder Sonderurlaub, zeigen Sie Anerkennung für die Pflegeverantwortung. Über gesetzliche Ansprüche und Beratungsangebote rund um die Pflege informiert die Seite https://www.wege-zur-pflege.de/start.

Bedenken Sie: Eltern, die im betrieblichen Alltag Rücksichtnahme auf Familie erleben - sei es für regelmäßige zeitliche Anforderungen oder ad hoc in Notsituationen - nehmen dies als verlässliches Familienbewusstsein wahr und entwickeln dadurch eine hohe Bindung an ihren Arbeitgeber. Gleichzeitig ist es ein wichtiges Signal an ALLE Beschäftigten, dass Rücksicht auf private Belange genommen wird. Dies ist insbesondere der jüngeren Generation sehr wichtig bei der Wahl des Arbeitgebers.

Hier noch ein paar Tipps, wie sich „Zeit für Familie“ als grundlegende Haltung in der Unternehmenskultur verankern lässt:

  • Fragen Sie Beschäftigte, die von einer neuen Lebensphase berichten, welche Zeitbedürfnisse sie haben und wo die besonderen Herausforderungen liegen. 
     
  • Beziehen Sie die Eltern und pflegenden Beschäftigten in die Maßnahmenplanung mit ein, sie haben oft praktikable Ideen und ein gutes Verständnis für die betrieblichen Belange.
     
  • Sensibilisieren Sie Ihre Führungskräfte im persönlichen Gespräch oder im Rahmen von Seminaren dafür, dass Zeit für Familie nicht weniger Lust auf Arbeit bedeutet. Beschäftigte wollen beiden Verantwortlichkeiten gerecht werden.
     
  • Zeigen Sie Wertschätzung für die Zeit für Familie und vermeiden Sie, dass die Nutzung von familienfreundlichen Angeboten negative Konsequenzen, etwa bei der Beförderung, nach sich zieht.

Diese und weitere Hinweise finden Sie unter www.erfolgsfaktor-familie.de. Im zugehörigen Netzwerk beim DIHK können Sie sich mit anderen Unternehmen zum Thema Zeit für Familie austauschen www.erfolgsfaktor-familie.de/netzwerken.

Fußnote: WSI Policy Brief Nr. 79, 5/2023

Unternehmensprogramm Erfolgsfaktor Familie: Familienfreundlichkeit als Markenzeichen der deutschen Wirtschaft - dafür setzt sich das Bundesfamilienministerium zusammen mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft (BDA, DIHK, ZDH), dem DGB sowie weiteren Branchen- und Fachverbänden ein. Das Unternehmensprogramm Erfolgsfaktor Familie bietet aktuelles Expertenwissen, Informationen, innovative Praxisbeispiele und Erfahrungsberichte aus einzelnen Unternehmen und das bundesweit größte Netzwerk für Unternehmen, die sich für Familienfreundlichkeit engagieren.

Dieser Beitrag ist Teil der Themenkolumne "Vereinbarkeit von Beruf und Familie"

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