Brexit
Wirtschaftliche Perspektive
Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs (VK) verliert die EU ihre zweitgrößte Volkswirtschaft. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des "Brexit" dürften auf beiden Seiten des Ärmelkanals zu spüren sein; insbesondere der Außenhandel ist davon betroffen.
Welches ökonomisches Gewicht hat das Vereinigte Königreich innerhalb der EU? Wie eng ist die wirtschaftliche Beziehung zwischen der Staatengemeinschaft und dem Königreich? Welche Folgen hat der Brexit für die britische und deutsche Wirtschaft sowie den Finanzplatz London?
Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,366 Billionen Euro (2016) ist das Vereinigte Königreich die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt und nach Deutschland die zweitgrößte der EU. Das Königreich trägt etwa 17 % zur Wirtschaftsleistung der gesamten Union bei und ist zudem zweitgrößter Beitragszahler des EU-Haushaltes. Mit einem negativen Saldo von 11,5 Milliarden Euro gehört das VK zu den sogenannten Nettozahlern, die mehr in den Haushalt einzahlen, als sie an finanziellen Leistungen erhalten (siehe Grafik). Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs verliert die EU also ein ökonomisches Schwergewicht.
Das Vereinigte Königreich unterhält enge wirtschaftliche und finanzielle Beziehungen zur Europäischen Union. 44,4 % der Exporte und 53,6 % aller britischen Importe wurden 2015 mit EU-Staaten abgewickelt. Damit ist die EU der mit Abstand wichtigste britische Handelspartner. Umgekehrt gehen nur etwa 6,5 % aller EU-Exporte an das Vereinigte Königreich. Während der Export ins Königreich circa 4 % des BIP der EU-27 ausmacht, entspricht der Export des VK in die EU 14 % des britischen BIP.
Wie stark die einzelnen Mitgliedsstaaten von den Folgen des "Brexit" betroffen sind, hängt von den jeweiligen Handelsbeziehungen zum Vereinigten Königreich ab (siehe Grafik). Für Deutschland ist das VK der drittgrößte Handelspartner. Im Jahr 2016 exportierte die Bundesrepublik Güter im Wert von 86,145 Milliarden Euro in das Königreich, was einem Anteil von 7,1 % aller deutschen Exporte entsprach. Neben den Außenhandelsverflechtungen mit EU-Staaten ist das Vereinigte Königreich über die EU-Mitgliedschaft an 33 Freihandelsabkommen mit insgesamt 62 Drittländern beteiligt. Damit hängen 63 % des britischen Außenhandels direkt oder indirekt mit der EU-Mitgliedschaft zusammen.
Zusätzlich zum Handel profitiert das VK im besonderen Maße von ausländischen Direktinvestitionen. Im Jahr 2014 wies das Land mit 1,252 Milliarden Euro den höchsten Wert an ausländischen Direktinvestitionen in der gesamten EU auf, davon stammen etwa die Hälfte aus den 27 EU-Ländern.
Aufgrund der engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem VK und der EU rechnen zahlreiche Wirtschaftsinstitute mit beidseitigen ökonomischen Verlusten in Folge des "Brexit". Wie groß diese letztendlich ausfallen, hängt vor allem von der Ausgestaltung der zukünftigen Handelsbeziehungen zwischen dem VK und der EU ab. Für exportorientierte Unternehmen der verarbeitenden Industrie wird das Hauptaugenmerk auf den neuen Zolltarifen liegen, während für Finanz- und andere Dienstleister in erster Linie Marktzugangsbestimmungen von Relevanz sind.
Die Unsicherheit über den Ausgang der Brexit-Verhandlungen führt wahrscheinlich kurzfristig zu Zurückhaltungen bei Investitionen und Neueinstellungen, was das Wirtschaftswachstum sowohl im Vereinigten Königreich, als auch in den übrigen 27 EU-Staaten dämpft. Langfristig könnte sich der Außenhandel zwischen dem VK und der EU durch Zölle und unterschiedliche Produktionsstandards sowie Zulassungsvorschriften deutlich verteuern. Das Königreich muss zudem zahlreiche Freihandelsabkommen mit Drittstaaten, die mit der EU-Mitgliedschaft verknüpft sind, neu aushandeln. In der Wirtschaftsforschung herrscht Einigkeit darüber, dass die britische Wirtschaft stärker unter dem Austritt leiden wird, als die europäische oder die deutsche.
Volkswirtschaftliche Auswirkungen
Die vorhergesagten wirtschaftlichen Verluste für die britische, deutsche und europäische Wirtschaft in Folge des Brexits variieren je nach zugrunde gelegtem Austrittszenario. Das ifo Institut hat die langfristigen ökonomischen Folgen für drei verschiedene Austrittsmodelle berechnet, die sich auf die zukünftigen Handelsbeziehungen zwischen dem VK und der EU und somit direkt auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung beider Seiten auswirken.
Land | WTO-Modell | Kanada-Modell | EWR-Modell |
Vereinigtes Königreich | 1,73 % | -0,57 % | -0,4 % |
Deutschland | 0,23 % | -0,1 % | -0,06 % |
EU-27 | -0,26 % | -0,11 % | -0,07 % |
Die Finanzbranche ist im Vereinigten Königreich mit einem Anteil von 11 % an der gesamten Wertschöpfung von besonderer volkswirtschaftlicher Bedeutung. Insgesamt sichert der Finanzsektor 1,4 Millionen Arbeitsplätze und trägt 12 % zur britischen Einkommenssteuer bei. Allein in London arbeiten ca. 400.000 Beschäftigte in der Finanzindustrie, was die Metropole zur Finanzhauptstadt Europas macht. In Deutschlands Finanzzentrum Frankfurt sind es hingegen gerade einmal 75.000.
In London haben sich viele internationale Banken angesiedelt, die durch das so genannte "Passporting" von der britischen Hauptstadt aus Bankgeschäfte in der ganzen EU tätigen können. Durch diesen Mechanismus ist es den Banken möglich, ihre im VK zugelassenen Finanzdienstleistungen in jedem Mitgliedstaat der EU anzubieten, ohne dort einen Standort zu eröffnen oder sich an die behördlichen Vorgaben in diesem Land halten zu müssen. Um auch weiterhin Dienstleistungen in der gesamten Union verkaufen zu können, brauchen die Banken in Zukunft in Folge des "Brexit" jedoch ein Standbein in einem EU-Mitgliedsstaat. Frankfurt, Paris oder Dublin könnten davon profitieren. Mehrere Großbanken haben bereits angekündigt, Arbeitsplätze aus London verlagern zu wollen. Eine besonders spannende Frage ist darüber hinaus die Verlegung des Euro-Clearings (Handel mit auf Euro lautenden Derivaten) auf das europäische Festland. Obwohl der Euro nicht die Währung des Vereinigtes Königreichs ist, wird der Großteil des Clearings derzeit in London abgewickelt. Mehrere europäische Institutionen sowie deutsche Spitzenpolitiker haben bereits angekündigt das Clearing nach dem "Brexit" in die EU verlagern zu wollen, was die britische Hauptstadt hart treffen würde, da mehrere zehntausend Arbeitsplätze davon abhängen.
Für deutsche Unternehmen ist das Vereinigte Königreich ein wichtiger Absatzmarkt. Das gilt auch für den deutschen Mittelstand. Im Jahr 2011 entfielen 8 % der EU-Exporte von deutschen KMU im produzierenden Gewerbe auf das VK. Diese Exporte dürften nach dem EU-Austritt des Königreichs zurückgehen. In Folge des Brexit-Votums verlor das Pfund-Sterling gegenüber dem Euro stark an Wert und sank im Oktober 2016 auf den niedrigsten Stand seit 1985, was britische Importe aus der Eurozone verteuert und sich daher negativ auf deutsche Exporteure auswirkt. Besonders betroffen sind exportintensive Branchen für die das Königreich einen großen Absatzmarkt darstellt. Hierzu gehören in Deutschland der Fahrzeugbau, die pharmazeutische und chemische Industrie sowie der Maschinenbau (siehe Grafik).
Die gesamtwirtschaftlichen Folgen für die deutsche Wirtschaft sind aber mit prognostizierten Verlustraten von unter 0,25 % in den nächsten 5 Jahren eher gering. Fraglich ist jedoch, wie die durch den "Brexit" entstandene Lücke im EU-Haushalt geschlossen werden soll. Bei einer Aufteilung der Kosten auf die verbliebenen Mitglieder würden die zusätzlich Ausgaben zur Kompensation des wegfallenden britischen Beitrags für Deutschland bei rund 2,5 Milliarden Euro jährlich liegen.
Stand: 22.08.2017
Mit dem Vereinigten Königreich tritt zum ersten Mal in der Geschichte der EU ein Migliedsstaat aus dem Staatenverbund aus.
Welche Rolle hat das Königreich in der EU inne, wie läuft das Austrittsverfahren konkret ab und welche Perspektiven gibt es für die zukünfitgen Beziehungen zur EU?
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